: „Alles scheint sich zu ändern, und alles bleibt gleich“
In Kolumbien werden am Sonntag Parlaments- und Kommunalwahlen abgehalten / Stimmenkauf macht Politik zu rundem Geschäft / Statt Parteien gibt es regelrechte Wahlunternehmen / Keine großen Aussichten für die Linke / Rechtzeitig zu den Wahlen hat die Guerillabewegung M-19 mit der Übergabe ihrer Waffen begonnen ■ Aus Bogota Ciro Krauthausen
Für Lateinamerika klingt das schon beeindruckend: Seit 169 Jahren, und nur von zwei kurzen Militärdiktaturen unterbrochen, wird in Kolumbien regelmäßig gewählt. Nun ist es wieder soweit: Am Sonntag werden die Kolumbianer ihre Kongreß- und Provinzabgeordneten, Bürgermeister und Stadträte wählen. Zudem dürfen sie darüber befinden, wer von sechs Kandidaten der Liberalen Partei am 26.Mai zu den Präsidentschaftswahlen antreten soll. Zur Wahl stellen sich die beiden althergebrachten Parteien der Liberalen und Konservativen sowie eine Vielzahl kleinerer Bewegungen. Wahlprognosen jedoch sind nicht angebracht. Es ist so, als ob es in der Bundesrepublik völlig gleichgültig wäre, ob die CDU, die SPD oder die Grünen die Bundestagsmehrheit erringen. „Wahlen in Kolumbien“, schreibt Hernando Gomez Buendia vom Institut für Liberale Studien, „sind ein Mechanismus, bei dem sich alles zu ändern scheint, und doch alles gleichbleibt.“
Das liegt in erster Linie daran, daß die Volksparteien nur dem Namen nach existieren. An ihrer Stelle besteht ein lockeres Netz von unabhängigen Unternehmern, die in dem Urnengang ein einträgliches Geschäft erkannt haben. Schon Monate vor dem Wahltag schwärmen kleine und große Politiker in Dörfer und Städte aus, um direkt oder indirekt Stimmen einzukaufen. Wer seinem Kind zu keinem Studienplatz verhelfen konnte, läßt sich von Victor G. Ricardo für ein paar Wahlzettel einen besorgen. Wer schon seit Monaten auf einen Telefonanschluß wartet, verspricht der Telefongesellschaft Telesforo seine Unterstützung. Und wer am Wahltag pleite ist, kann immer noch versuchen, seine Unterstützung für umgerechnet 20 DM an einen Wahlhelfer zu verkaufen. Nicht immer halten die Politiker ihr Versprechen, aber doch oft genug, damit sich ein Versuch lohnt. Nach der Wahl wird genau ausgerechnet, welcher Politiker auf die Verteilung wievieler öffentlicher Posten Anrecht hat.
Wie aber kontrollieren die Politiker, daß die zu entlohnenden Wähler auch wirklich für sie gestimmt haben? Wahlgeheimnis gibt es nicht. Statt in einer Wahlkabine ein Kreuzchen zu machen, muß der kolumbianische Wähler sich außerhalb des Wahllokals bei den jeweiligen Parteianhängern vorgedruckte Zettel holen, auf denen die gewünschten Listen aufgeführt sind. Die Zettel werden in einen weißen Umschlag gesteckt und dieser wiederum vor den Augen der Öffentlichkeit in die Urne geworfen. Das ermöglicht den Wahlhelfern, den Wählern den „richtigen“ Umschlag in die Hand zu drücken und aufzupassen, daß er den Umschlag nicht gegen einen anderen eintauscht. „An dem Tag, wo in Kolumbien geheime Wahlen eingeführt werden“, sagte einmal der 1984 ermordete Justizminister Rodrigo Lara Bonilla, „wird das politische Klientelsystem zusammenbrechen“. Bisher jedoch haben sich die Kongreßabgeordneten erfolgreich gegen neue Methoden gewehrt. Lediglich bei den Präsidentschaftswahlen am 27.Mai sollen die Bürger ein Kreuzchen auf ihren Wahlzettel machen dürfen - bei diesem Urnengang geht es schließlich nicht um parlamentarische Diäten.
Von den Berufspolitikern sind keine Reformen zu erwarten warum auch, das System läuft prächtig, ganz bestimmt auch bei den Wahlen am Sonntag.
Politik findet im Wahlkampf nicht statt. In den sechs Monaten Wahlwerbung ist es zu keiner einzigen ernsthaften Debatte über die grundlegenden kolumbianischen Probleme gekommen: weder über die Kokainfrage noch über die Wirtschaftspolitik noch über die Haltung gegenüber der Guerilla. Die Guerillabewegung ELN, unzufrieden mit Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit des Systems, hat zu einem Wahlboykott aufgerufen und angekündigt, dessen Einhaltung in einigen abgelegenen ländlichen Regionen durch Ermordungen und Entführungen zu erzwingen.
Ihre ehemaligen Kampfgefährten von der Guerillabewegung M -19 dagegen treten nach langen Friedensverhandlungen erstmals zu den Wahlen an. Nach fast 20 Jahren Kampf hat die 800 Mann zählende Truppe um Carlos Pizarro vorgestern die Waffen endgültig niedergelegt. Große Erfolge der mit viel Publicity in das zivile Leben zurückgekehrten „emes“ sind jedoch nicht zu erwarten.
Die Bewegung „Vereinigtes Kolumbien“, die mit einer Vielzahl von Bürgerinitiativen zusammenarbeitet, macht sich derweil Hoffnungen auf einige lokale Wahlerfolge. Der Soziologe und Vize-Direktor der Bewegung, Orlando Fals Borda, meint zur taz, das ganze System müsse von unten her reformiert werden.
Die Frage ist, ob an der Basis in absehbarer Zeit die notwendigen Organisationen geschaffen werden können. Denn die zivile Gesellschaft Kolumbiens ist kaum in Verbänden oder Bewegungen zusammengeschlossen. Es gibt zwar Gewerkschaften und Wirtschaftsgremien; aber sie sind nur schwach und in vielen Gegenden inexistent. Gleichzeitig werden die Bürger nur in Ausnahmefällen durch das Wahlsystem wirklich politisch repräsentiert. „Cuanda llega la violencia“ - wenn die Gewalt kommt, gibt es keine Parteien oder Verbände, die zwischen den bewaffneten Gegnern vermitteln könnten. „Rette sich, wer kann“, lautet dann die Devise, während die Bürger denjenigen ausgeliefert sind, die vorgeben, sie mit der Waffe in der Hand zu repräsentieren. Im Januar wurden in Kolumbien täglich im Durchschnitt 56 Menschen aus den verschiedensten Gründen ermordet. Das politische System läuft wie geschmiert.
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