Innovationen sind gefragt

■ Sind Streik und Aussperrung noch zeitgemäß?

Die Regierung Modrow und die Volkskammer der DDR haben sich, als sie sozusagen in letzter Minute ein umstrittenes Gewerkschaftsgesetz auf den Weg gebracht und verabschiedet haben, vermutlich auch vom Gedanken der „Wiedergutmachung“ leiten lassen. Nach jahrzehntelanger Ausbeutung der Werktätigen durch eine Herrschaftsclique wäre dies sozusagen ein nun zum Recht erhobener nachträglicher Gnadenerweis - gedacht auch als Faustpfand der Arbeiterschaft (also fast der gesamten Bevölkerung) dafür, daß die bevorstehenden deutsch-deutschen Verhandlungen nicht zu Übernahmeverhandlungen zwischen völlig unebenbürtigen Partnern werden.

Manches, was im jetzt verabschiedeten DDR -Gewerkschaftsgesetz formuliert wird, erscheint aus bundesrepublikanischer Sicht überflüssig. Die grundgesetzlich geregelte Vereinigungsfreiheit wird ergänzt durch Satzungsbestimmungen der Einzelgewerkschaften und des DGB, so daß weitere gesetzliche Festschreibungen und Bestimmungen nicht notwendig sind. Im Gegenteil: Wichtige Spielräume zur Gestaltung werden offengelassen statt festgelegt, was einer mündigen Gesellschaft grundsätzlich eher entspricht. Hierauf haben die Gegner eines Vereinsgesetzes in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen - dessen Befürwortern spielt nun ausgerechnet der DGB in die Hände, wenn er die Verabschiedung des „Gewerkschaftsgesetzes“ in der DDR als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. Daß das Streikrecht jetzt erst in die DDR-Verfassung aufgenommen und dieser Umstand vom DGB nicht mal erwähnt wurde, ist schon peinlich genug. Daß der DGB in seiner Presseerklärung aber mit keinem Wort auf die immer noch fehlende Legitimation jener Volkskammer, die das Gesetz verabschiedet hat, hinweist, steht dieser Peinlichkeit in nichts nach.

Verführt wurde der DGB möglicherweise dazu, weil in der DDR nun gleichzeitig ein „Verbot der Aussperrung“ gesetzlich mitverankert wurde und sofort Hoffnungen formuliert werden, dieses „Aussperrungsverbot“ für die Bundesrepublik zu übernehmen. Man muß sich schon erinnern, wie hoch im Jahre 1986 - ausgelöst durch den sogenannten „Franke-Erlaß“ und dann fortgesetzt in den Auseinandersetzungen um die Novellierung des Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz die Wogen schlugen. Kernpunkt dieser Auseinandersetzung war, daß die bis dahin stillschweigende Zahlungs-Partnerschaft im Streikfalle zwischen der streikenden Gewerkschaft und der Bundesanstalt für Arbeit von dieser aufgekündigt wurde. Der Modernisierungsschub der Industrie, insbesondere immer größer werdende Arbeitsteilung und daraus resultierende zunehmende Abhängigkeiten der Zulieferindustrien untereinander, hatten - aus Unternehmersicht - die Bedeutung von Branchenstreiks qualitativ total verändert. Mit der gesetzlich abgesicherten Möglichkeit zur Aussperrung besserten sie nach bzw. bauten sie vor. Verständlich, daß die Gewerkschaften damals gegen die Verabschiedung Sturm liefen und seither immer wieder eine Rücknahme der Gesetzesnovellierung fordern. Man muß aber ganz genau hinsehen: Nicht das eigentliche Streikrecht der Gewerkschaften wurde eingeschränkt, eingeschränkt wurde vielmehr der Spielraum, innerhalb dessen eine Gewerkschaft über Streik entscheiden kann und will. Gewiß ist damit eine unternehmerfreundliche Entscheidung getroffen worden. Man muß aber auch sehen, daß ein Branchenstreik heutzutage eben wegen der hoch diversifizierten und verflochtenen Produktionsstruktur tatsächlich ganz andere Auswirkungen hat, als dies in den klassischen Zeiten des Arbeiterkampfes und selbst noch bei Abfassung des Grundgesetzes der Fall oder vorauszusehen war - was eine Begünstigung der Gewerkschaften ist. Gefragt sind (längst!) innovative Formen des Arbeitskampfes - und die müßten die Gewerkschaften liefern. Selbst die Wechselstreiks können da nur ein Hilfs- oder Übergangsmittel sein.

Wenn nun Unternehmerverbände und unternehmerfreundliche Abgeordnete oder Parteien sofort eine Abschaffung des DDR -Gewerkschaftsgesetzes fordern und das Gesetz als größtes Hindernis für eine wirtschaftliche Modernisierung der DDR sehen, so ist das nicht überraschend. Und daß die bundesdeutschen Gewerkschaften endlich eine Wiederbelebung der Diskussion sehen und freudig danach greifen, ist auch nicht verwunderlich. Enttäuscht mögen nur all die sein, die nach wie vor meinen und wissen, daß starke Arbeitnehmervertretungen nötig sind und von ihren Gewerkschaften jetzt nichts anderes hören als seit Jahren. Zur gewerkschaftlichen Stärke sollte aber inzwischen auch gehören, Muskelkraft und Massenhaftigkeit durch intelligente Konzepte und neue Strategien zu ersetzen. Innovationen in der Arbeitnehmerpolitik sind also gefragt.

Anna Jonas