Volkszählungsgegner aus Beamtenehre

Einer, der gar nicht gegen die Volkszählung ist, beschäftigt als Volkszählungsgegner die Gerichte / Ein Pensionär aus Gehrden will mit neuen Argumenten vom Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob die Zählerei verfassungswidrig war  ■  Aus Essen Bettina Markmeyer

Als der 65jährige Manfred Terbach aus Gehrden im Sommer 1987 gezählt werden sollte, machte er sich auf in die Stadt Brakel zu seiner Erhebungsstelle und verlangte die Rechtsgrundlagen zu sehen, „nach denen der Staat seine Bürger belästigen wollte“. Daß die Brakeler VolkszählerInnen ihm mit nichts weiter dienen konnten als ein paar Bestimmungen über ihre Aufgaben, war für den wißbegierigen Westfalen „ein Unding“: der ehemalige Beamte, der in den 70er Jahren Referent des damaligen Arbeitsministers Arendt war, beförderte seinen Erfassungsbogen ins Altpapier und begann - das hatte er in Bonn gelernt - die Gesetze zu studieren.

Eine Kur in Bad Soden, etliche Busfahrten und eine Bibliothek im nahegelegenen Kassel kamen ihm dabei zu Hilfe. Tagsüber wälzte er in der Stadt die juristische Literatur, und abends saß der Pensionär im Kurort in seiner Bude und dachte nach. Nach wochenlanger Tüftelei hatte er einen Plan. Heraus kamen zwei Gerichtsverfahren und eine Verfassungsbeschwerde, die jetzt bereits den neunten Monat in Karlsruhe schmort und dort, so hofft Terbach, die grauen Zellen der Verfassungswächter strapaziert. Denn der Ex -Regierungsbeamte, Sozialdemokrat und Bergmannssohn, der im Kreis Höxter für die Grünen Politik macht, glaubt, dem hohen Gericht einen Präzedenzfall auf den Tisch gelegt zu haben.

Im Gegensatz zu zahllosen, von Karlsruhe abgewiesenen BeschwerdeführerInnen vor ihm hat Manfred Terbach es nicht auf das Volkszählungsgesetz (VZG) selbst abgesehen, sondern auf die Durchführungsverordnung der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Sie ist neben dem VZG und dem Bundesstatistikgesetz eine der drei Rechtsgrundlagen der Volkszählung. Diese Verordnung sei deshalb nicht verfassungsgemäß, weil die Landesregierung gar nicht befugt gewesen sei, sie zu erlassen. Dazu hätte sie zuvor vom Landesgesetzgeber, also den ParlamentarierInnen des Landtags, bevollmächtigt werden müssen, so sagen es einschläge Gesetzeskommentare. Das aber ist nie geschehen. Und da klafft die Lücke.

Herausgelesen hat der 65jährige sie aus dem Paragaphen 9, Absatz 3 des Volkszählungsgesetzes von 1987. Dort werden für die praktische Ausführung der Volkszählung die Länder eingesetzt, nicht aber die Landesregierungen, was Terbach in seiner Verfassungsbeschwerde kenntnisreich belegt. Die Kernfrage für Terbach, der während seiner über 20jährigen Tätigkeit im Bonner Ministerium selbst an vielen Gesetzesentwürfen mitarbeitete, ist nun, „ob es nicht eine massive Störung der verfassungsmäßigen Ordnung ist, wenn elf Landesregierungen da etwas tun, zu dem sie gesetzlich gar nicht berechtigt sind“. „Eigentlich“, behauptet der streitbare Beschwerdeführer „habe ich auch gar nichts gegen die Volkszählung. Wenn sie für die Allgemeinheit nützlich ist, soll sie gemacht werden.“ Aber rechtens müsse es zugehen. Er sei eben nicht „wie die jungen Leute“ mit Wut im Bauch gegen die Datensammelei losgezogen, sondern er sei Beamter. „Und als Beamter gucke ich bei Gesetzen immer noch ganz genau hin. Außerdem trainiere ich so meinen Geist.“

Das geistige Training hat ihm in den letzten drei Jahren nicht nur Laufereien zu den Gerichten eingebracht, sondern kostete auch Geld. Das Amtsgericht in Höxter bescheinigte Terbach zwar, sich im Volkszählungsgesetz, in der Durchführungsverordnung und im Grundgesetz bestens auszukennen. Von seinen Argumenten wollte das Gericht jedoch nichts wissen und verurteilte ihn zu einem Bußgeld von 300 Mark. Terbach legte Beschwerde beim Oberlandesgericht in Hamm ein, wurde abgewiesen und hatte auch die Kosten dieses Verfahrens zu tragen.

Mit dem akribischen Beamtenblick und dem Biß des Bergmannssohnes aus dem Ruhrgebiet, der sich „obwohl nur mit Volksschulabschluß“ in höhere Etagen vorgearbeitet hatte, strengte der Pensionär unterdessen ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Minden an. Der Bescheid, mit dem sein Widerspruch gegen die Aufforderung, sich zählen zu lassen, verworfen wurde, sei nichtig, weil die Durchführung der Volkszählung insgesamt nicht verfassungsgemäß verlaufe, die zuständige Stelle also unzuständig sei und folglich keinen gültigen Bescheid verschicken könne. Minden machte es wie zuvor Höxter und Hamm, und Terbach ging vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster in Berufung.

Dort ließ man den Fall 1988 „wegen angespannter Geschäftslage“ und 1989 „wegen weiter angespannter Geschäftslage“ herumliegen. Am vergangenen Donnerstag lud man Terbach schließlich vor, wies seine Klage ab und versprach ihm eine schriftliche Begründung. Mündlich erfuhr der Unermüdliche immerhin, daß er an einer Entscheidung „kein berechtigtes Interesse“ mehr habe. Denn - und danach hatten sich die Münsteraner Richter zuvor genau erkundigt sein Bußgeldverfahren sei inzwischen abgeschlossen, er habe gezahlt; und die Volkszählung ist lange vorbei. Manfred Terbach juckt das nicht. Sein Blick geht von Gehrden direkt nach Karlsruhe. Die Begründung seiner Verfassungsbeschwerde ist bisher einmalig, verschiedene Juristen räumen ihm Aussicht auf Erfolg ein. „Dann müßten alle Daten gelöscht werden“, das sei, angesichts völlig neuer Zahlen durch Aus und Übersiedler, „aber auch kein Beinbruch“.