Wie weiter mit der Nicaragua-Solidarität?

■ Nach der Niederlage der FSLN müssen Städtepartnerschaften und Hilfsprojekte neu überdacht werden

Die Sandinistische Befreiungsfront ist ab April nicht mehr an der Regierung. Nach kurzem Schock hat sich die bundesdeutsche Solidaritätsbewegung gefangen und überlegt, wie sie weitermachen kann, ohne die konservative Regierung damit zu unterstützen. Das neue Zauberwort heißt: Projekte entstaatlichen.

„Wir haben keine revolutionäre Regierung unterstützt, sondern ein revolutionäres Projekt, und deshalb geht unsere Unterstützung auch jetzt weiter.“ Die Haltung des Wuppertaler Informationsbüros Nicaragua, das die unabhängigen Solidaritätskomitees der Bundesrepublik koordiniert, ist repräsentativ für den überwiegenden Teil der Solidaritätszene. Doch leicht ist es für keine dieser Gruppen, mit dem Sturz der Revolution vom Regierungssessel auf Projektebene umzugehen. Zumindest jene Organisationen, die ihre Hilfeleistungen nicht als bloß humanitäre begreifen, werden sich neue Kanäle für ihre Unterstützung einfallen lassen müssen.

Schließlich verändern sich mit dem Regierungsantritt von Violeta Chamorro im April ihre Rahmenbedingungen grundlegend: Der staatliche Rückhalt wird nicht mehr ohne weiteres garantiert sein. Welche Umwege eingeschlagen werden müssen, um - an der künftigen Rechtsregierung vorbei - den Sandinisten zuzuarbeiten, hängt allerdings von der Nähe des jeweiligen Projekts zu staatlichen Institutionen ab.

Das Wuppertaler Informationsbüro, das in den zehn Jahren sandinistischer Revolution Hilfeleistungen im Wert von über 8 Millionen Mark organisierte, will nach Auskunft seines Mitarbeiters Stefan Flaig „auf gar keinen Fall Entwicklungsruinen“ hinterlassen und alle bereits begonnenen Projekte „vernünftig zu Ende bringen“. Vernünftig, das heißt auch: in weiterer Zusammenarbeit mit der FSLN. Über das Wie kann auch im Wuppertaler Büro zur Zeit nur spekuliert werden. Zum Beispiel werden staatliche Betriebe wohl ihre revolutionäre Zielsetzung verlieren.

Einen möglichen Weg, dem Zugriff der Uno auf die Projekte zu entgehen, könnte eine Umgestaltung der Trägerschaft sein: Wenn staatliche Betriebe in Stiftungen oder Kooperativen umgewandelt würden, könnten sie in der Hand des sandinistischen Personals bleiben und somit weiterhin den für die politische Solidaritätsarbeit unabdingbaren Charakter eines „revolutionären Projekts“ behalten. Ob die Sandinisten mit ihren Privatisierungsplänen überhaupt Erfolg haben werden, ist jedoch noch nicht abzusehen.

Neue Projekte will die Wuppertaler Koordination nur noch im regierungsunabhängigen Bereich von prosandinistischen Verbänden, Gewerkschaften oder anderen Basisorganisationen starten. Aber auch diese unabhängigen Strukturen müssen in Nicaragua zum Teil erst noch geschaffen werden.

Nicaragua-Kaffee künftig nicht mehr vom Staat?

Umdenken muß auch die Mittelamerika-Kaffee Import und Export GmbH (Mitka), die den „Nicakaffee“ zu hohen, sprich solidarischen Preisen bezieht: Ihre Bezugsquelle, die Kaffeebehörde Encafe, die 1979 wie der gesamte Außenhandel von den Sandinisten verstaatlicht wurde, wird künftig der Uno-Regierung unterstehen. Aus der Errungenschaft der Sandinisten, der Verstaatlichung des Exportwesens, wird für Mitka nun ein Handicap: Encafe zu unterlaufen und direkt bei privaten Kooperativen Kaffee zu beziehen, dürfte problematisch werden, denn dafür bestehen zur Zeit weder rechtliche noch Vertriebsstrukturen.

„Es ist auch fraglich, ob sich die Kaffeeanbauer überhaupt auf einen Direktverkauf einließen“, mutmaßt Henry Humburg vom Berliner Naturkostgroßhandel Ökotopia, einem Mitglied der Mitka. Bislang ist man sich bei der Mitka nur über eins im klaren: Eine Zusammenarbeit mit Encafe zu den alten Bedingungen - Garantie eines Mindestpreises, der zuletzt 20 Prozent über Weltmarktniveau lag - ist nicht mehr drin. Wenn überhaupt, dann soll künftig lediglich zum „normalen“ Weltmarktpreis bei Encafe eingekauft werden. Der Solidaritätsbeitrag würde sich dann ganz auf Preisaufschläge beim bundesdeutschen Vertrieb konzentrieren, über den die weitere Projektarbeit finanziert werden soll. Denn auch Mitka ist es wichtig, die begonnenen Projekte, wie beispielsweise die Kaffeezubereitungsanlage in La Paz, zu Ende zu führen. Auch eine weitere Abnahme von biologisch -organisch angebautem Kaffee ist im Gespräch.

Für die LiebhaberInnen der „Sandino Dröhnung“, wie der Nica -Kaffee dem kruden Zeitgeist der spätsiebziger Jahre entsprechend getauft wurde, wird sich zumindest in diesem Jahr noch nichts ändern: Den Import für 1990 hat Mitka bereits vor den Wahlen geordert und bezahlt.

Städtepartnerschaften

Heftig diskutiert wird auch in den Städtepartnerschaftsvereinen, die in die mißliche Situation geraten werden, ihre Vorstellungen von politischer Hilfeleistung sowohl gegenüber ihren eigenen Stadträten als auch den (meist) Uno-regierten Partnerstädten durchzusetzen. Zum Beispiel Berlin-Kreuzberg und das nicraguanische San Rafael Del Sur: Vor die Frage gestellt, ob es ihm mehr um humanitäre Hilfe gehe oder um die Unterstützung einer revolutionären Entwicklung, zögert der Kreuzberger SPD -Bürgermeister keine Sekunde: die humanitäre Unterstützung habe die politische zur Voraussetzung.

Der Städtepartnerschaftsverein in Kreuzberg weiß es zu schätzen, daß sein Bürgermeister öffentlich Entsetzen über den Wahlsieg der Uno äußert, die in San Rafael acht der zehn Sitze im Gemeinderat erhielt. Für den Verein ist es zumindest tröstlich, daß König sich bei seinen Versuchen, direkt mit sandinistischen Organisationen zusammenzuarbeiten, nicht querlegen wird.

Demnächst muß sich wohl eine ganze Reihe von Bürgermeister und StadträtInnen von revolutionsbewußten Städtepartnerschaftsvereinen die Gretchenfrage gefallen lassen, wie Solidaritätsarbeit in Zukunft aussehen soll: Bis auf wenige Ausnahmen wie Hamburg (verschwistert mit Leon) und Freiburg (Wiwili) wird das Gros ihrer Partnerstädte in Nicaragua eine Uno-Regierung haben. Und nicht alle offiziellen StadtvertreterInnen halten es mit der sandinistischen Revolution wie der Kreuzberger Bürgermeister.

Richard Weilmünster, Stadtrat in Dietzenbach und zuständig für die Städtepartnerschaft mit Masaya, in der die Uno künftig das Sagen hat (siehe Artikel unten), setzt auf humanitäre Hilfe, „egal wer regiert“. Überlegungen, die Stadtregierungen der Uno auch von offizieller Seite zu unterlaufen, hält er für „eine gewisse Arroganz der Europäer, die da reinreden wollen. Das sollte man der FSLN überlassen.“

Und in Oberhausen ist man nach der Niederlage der FSLN in der Partnerstadt Puerto Morazan bereit, mit der Uno Gespräche zu führen, um eine neue Basis zu finden.

Darüber, wie die Solidarität weitergehen soll, wird auf dem nationalen Treffen der Mittelamerika-Komitees am nächsten Wochenende beraten. Daß die Arbeit an der Basis auch in Zukunft Sinn haben und nicht zur bloßen Parteifinanzierung verkommen wird, daran hat Stefan Flaig aus Wuppertal keinen Zweifel: Immerhin seien es über 40 Prozent der nicaraguanischen Bevölkerung, die sich trotz des hierzulande unterschätzten Elends durch Krieg und Wirtschaftsmisere „zur Revolution bekannt“ hätten. So gesehen, läßt sich auch der Wahlniederlage ein Gewinn abtrotzen: „Von der Regierungslast befreit“, meint Flaig, „wird die Frente wieder 'authentischer‘ werden. Wir werden wesentlich leichter mit ihr zusammenarbeiten können.“

Annette Goebel