piwik no script img

SAMMELSURIUM

■ Plattenbörse in der alten TU-Mensa

Welche Auswirkungen hat die Öffnung der Mauer auf die Börse: Sinken die Preise für bestimmte Werte, verfällt gar die uns allen so teure D-Mark, steigen amerikanische Produktionen, oder werden sich die Anleger in japanische Pressungen flüchten?

Beim zehnjährigen Jubiläum der Internationalen Schallplattenbörse, das am Wochenende in der alten TU-Mensa gefeiert wurde, war von solchen Ängsten oder anderen dramatischen Veränderungen wenig zu spüren. Auch den Ansturm der gefürchteten Ostmassen gab es, auf der zum Music Meeting aufgestiegenen Börse für Plattenraritäten, nicht zu bestaunen. Entweder man erkennt DDRler schon nicht mehr als solche, weil sie inzwischen ihre Jeans gewechselt haben, oder ihr gesamtes Plattenwertsystem ist zusammengebrochen. Wo waren die jungen Menschen, die ein Original-Wartburg -Ersatzteil für eine Uriah Heep-Single von 1972 eintauschen wollten? „13. August 1961 - der Bau der Mauer grenzt die DDR vom Westen ab. Für die Plattensammler von internationalem Material beginnt eine harte Zeit“ heißt es, die Sammlertragik auf den Punkt gebracht, in der Zeitung des Music Meetings (mm 3/90).

Früher berappten DDR-Plattenkäufer für eine Original Westpressung um die einhundert Mark. Es gab professionelle Undergroundhändler, die, mit genügend Westkontakten ausgestattet, ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Privatimporten bestritten. Daneben gab es immer die Lizenzpressungen der Amiga, die entweder politisch wertvollen Stoff wie Billy Bragg herausbrachten - „kämpfte auf seiten der britschen Bergarbeiter im Streik gegen Thatcher mit Solidaritätskonzerten...“ hieß es dann in den Gebrauchsanweisungen der von Musikpädagogen gestalteten Rückseiten der Cover. Oder man versuchte den realsozialen Massengeschmack mit Gebrauchsware a la Modern Talking zu befriedigen. Die politische Sprengkraft einer ins Unermeßliche steigenden Verzweiflung von Hard Rock-Fans, die endlich das Original des Deep Purple - Made in Japan-Albums auf ihren Monoplattenspieler legen wollten, wurde dabei völlig unterschätzt. Die Amiga-Schwarzmarktpreise fielen in den Keller.

Jetzt hat sich das Verhältnis, wie neuerdings wohl überall üblich, ins Gegenteil verkehrt. Auf der Plattenbörse stehen Anbieter aus der DDR, die ihre Amiga-Scheiben zum Drei- bis Vierfachen des aufgedruckten Wertes von 16,10 Mark (inklusive Kulturabgabe) anbieten, in DM versteht sich. Denn nicht nur die Honecker-Memoiren, die man inzwischen am Checkpoint Charlie zu Phantasiepreisen angeboten bekommt, sind nach den Gesetzen des Marktes zu Raritäten geworden, auch eine Beatles - Best Of-Platte der Amiga gilt plötzlich als Rarität - bei Westlern. Noch viel rarer - und dementsprechend teurer - sind Vinylitäten aus weiter entfernten, ehemals sozialistischen Ländern. Melodia -Pressungen von Boney M. live in Moskau, in der UdSSR hergestellt und vertrieben, sind verstärkt gefragt.

Die Plattenbörse expandiert in Richtung Osten: am 16.6. wird es die erste internationale Ausgabe in der Dynamo -Sporthalle in Weißensee geben, gemeinsam veranstaltet vom Music Meeting Verein (West) und dem DDR-Nachwuchs. Dort wird es dann wahrscheinlich zu einer Baisse für östliche Staatsprodukte kommen, schon allein wegen des zu erwartenden Überangebots. Aber die Börsianer aus der DDR sind voller Gründungseuphorie, vielleicht können sie später einmal von sich behaupten, die erste „freie“ Börse auf DDR-Gebiet gegründet zu haben.

Im Westen wird weiterhin in staubigen Kisten gekramt, man sucht seine persönliche Vorliebssingle, streift mit dem Zeigefinger durch die Stapel, echte Profis erkennen die Platten schon an der Farbgebung des Covers, oder an der Konsistenz der jeweiligen Pappe. Die Geschwindigkeit, mit der sie die Platten durchsehen, werden sie vielleicht irgendwann mit einem Augenleiden bezahlen, aber das Original will gefunden sein. Wer hier nicht schnell genug ist, findet „seine“ Platte nie. Wenn er nicht sowieso, wie einige stämmige Heavy Metal-Vertreter, eigentlich zu breite Schultern hat, um zwischen die anderen Sucher zu passen. Wer breiter als ein LP-Cover ist, bekommt Schwierigkeiten. Der eingeschworene Vinyljunkie sucht nur Originalpressungen, Nachfertigungen jeglicher Art sind ihm verhaßt, werden sie ihm trotzdem angeboten, fischt er sie mit spitzen Fingern aus dem Karton, schaut den Verkäufer prüfend an und wendet sich angewidert dem nächsten Stand zu. Solche „Fälschungen“ kommen dem süchtigen Plattensammler nicht ins Regal.

Um den Überblick über Tausende von Platten zu behalten, (mir ist es unlängst passiert, daß ich eine Platte, die ich schon längst besaß, ein zweites Mal erwarb), reichen Karteikarten und andere Tricks schon lange nicht mehr aus. In diese Marktlücke stößt eine technische Innovation, die auf der Messe angeboten wird. Direkt neben dem Mischpult des Obermaklers Robert Loner, der ständig die neuesten Gesuche und Gebote aus einem Zettelkasten zieht und über das Saalmikrofon verliest, sitzt ein Herr der Firma Ki-Soft. Er führt jedem bereitwillig sein neuentwickeltes Computerprogramm vor, mit dem der Plattenfan „Ordnung halten kann per Computer“. In seinem Dateidschungel kann er jeden Plattentitel dem dazugehörigen Interpreten zuordnen, wenn er denn vorher eingegeben wurde. Er hat so „den schnellen Zugriff auf seine Sammlung“. Preis: lumpige 850DM, nicht viel mehr, als eine Raritätensingle von Elvis Presley kosten dürfte.

Inzwischen ist der Anbieterandrang bei der Börsenleitung so groß, daß man den Umzug von der TU-Mensa in die ungemütlichen, aber eben größeren Messehallen beschlossen hat. Im November wird es auf 7.000 Quadratmetern verkratzte oder „wahnsinnig gut erhaltene“ Raritäten, und solche die dafür ausgegeben werden, zu erstehen geben. Und wem das noch zu lange dauert, der besorge sich die Broschüre der Veranstalter, in der Börsentermine europaweit verzeichnet sind. Wie wär's mit einer Einkaufstour nach Paris zum Gare Austerlitz am 7. und 8. April dieses Jahres?

Andreas Becker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen