Taktischer Ungehorsam

■ Schalke nutzte unhaltbare Abwehrzustände der Herthaner schamlos aus: 4:1

Ein schöner, ein gelungener Fußballnachmittag im Gelsenkirchener Parkstadion - nur schade, daß die Hertha so wenig dazu beitragen konnte. Exakt 24 Minuten deuteten die ungewohnt Schwarz-Roten an, was sie zum Tabellenführer gemacht haben könnte: Ein klug aufgezogenes Spiel mit der Schaltstation Wolfgang Patzke und einem sehr guten Axel Kruse dokumentierte bekannte Berliner Auswärtsstärke. Doch mit dem Schalker Doppelschlag durch Schlipper und Ljuty nach just eben dieser knappen halben Stunde war alles vorbei: „Die Mannschaft hat im Gefühl der sicheren Kontrolle nach zwanzig Minuten die Disziplin in der Rückwärtsbewegung verloren“, analysierte Trainer Werner Fuchs. Libero Dirk Greiser erklärte die Sache ganz unbekümmert mit taktischem Ungehorsam: „Wir haben gegen die Anordnungen des Trainers gespielt, wir waren einfach zu offensiv.“

Und in vorbildlicher mannschaftlicher Geschlossenheit, als ob sie schon unter der Dusche das kollektive Geständnis beschlossen hätten, bekannten sich nachher alle Spieler zu diesem Fehler. Obwohl sie seit dem 14. November zum erstenmal wieder verloren hatten, wirkten die Herthaner keineswegs bedrückt. Ganz locker steckte Walter Junghans die vier Gegentreffer weg: „Die Niederlage war auch in dieser Höhe verdient. Wir hatte ja kaum eine echte Torchance.“

Richtig ins Rollen kam der Ball nur bei den königsblauen Schalkern, die diesmal nur 28.000 Zuschauer begrüßen konnten. Beim Schalker Führungstreffer, dem im Nachhinein entscheidende Bedeutung zukommt, tanzte Schlipper nach doppeltem Doppelpaß Holzer und Halvorsen aus und drückte den Ball am chancenlosen Walter Junghans vorbei. Herthas Torwart, dem nicht nur in seiner Schalker Zeit wiederholt seine Linientreue vorgehalten wurde, mußte sich den unhaltbaren Zuständen in seiner Abwehr beugen. Bei allen folgenden Schalker Treffern standen die Torschützen frei vor dem armen Walter, der an früherer Wirkungsstätte nach einem einzigen Patzer altbekannte Häme zu spüren bekam. Bei jedem sicher gefangenen Ball gab's Beifall - von den Schalkern.

Die beiden anderen Ex-Schalker, die nun zu Hertha gehören, taten ihrem ehemaligen Arbeitgeber auch nicht weh. Michael Jacobs kam mit dem quirligen kleinen Sendscheid nicht zurecht, der nicht nur an drei Toren beteiligt war, sondern gut und gerne auch selbst drei hätte machen können. Wolfgang Patzke glänzte nur eine halbe Stunde lang und fiel beim 0:3 durch Borodjuk durch tatenlose Bewunderung auf. Dabei hätte Herthas Spielorganisator den Schalkern besonders gern die Punkte geklaut, hat er doch die damals als so bös empfundene Behandlung seiner Person durch längst abgedankte Trainer und Präsidenten immer noch nicht vergessen. „Ich bin hier weggejagt worden“, schmollte Patzke vor dem Anpfiff auf dem Rasen des Parkstadions. In den folgenden 90 Minuten wurden er und seine Kollegen dann zwar nicht weggejagt, aber doch ziemlich bestimmt auf den Nachhauseweg geschickt. Vier Gegentore (auch das letzte erzielte Borodjuk) kassieren Greiser und Co. nicht oft. Sven Kretschmer, in der 58. Minute für den gelbbelasteten Frank Mischke eingewechselt, betrieb mit dem 1:4 nicht einmal mehr die berüchtigte Ergebniskosmetik - dieses Spiel konnte sich die Hertha abschminken.

Ernst Thoman