Mit Bärenruhe gegen Nußknackerfouls

■ Schweden wird durch ein 27:23 gegen die hochfavorisierte Sowjetunion völlig überraschend Handball-Weltmeister

Berlin (taz) - Die schwedische Handball-Nationalmannschaft gleicht seit vielen Jahren einer Pavianherde. Der mit den längsten Haaren ist immer der Chef. Bei der diesjährigen Weltmeisterschaft in der Tschechoslowakei hieß der Mann mit dem schulterlangen Haupthaar Stefan Olsson. Auch wenn im Prager WM-Finale gegen die vermeintlich übermächtige UdSSR seine Würfe nicht die gewohnte Präzision erreichten und meist eine Beute des Keepers Lawrow wurden, war er dennoch die wichtigste Figur im schwedischen Spiel. Mit Bärenruhe zog er die Fäden vor dem gegnerischen Kreis und nicht einmal ein brutales, von den Schiedsrichtern ungeahndetes „Nußknackerfoul“ (DDR-Fernsehkommentator), bei dem zwei sowjetische Abwehrspieler in einer Art Pogo-Einlage wuchtig mit den Schultern gegeneinander sprangen, während sich der arme Olsson genau zwischen ihnen befand, konnte ihn dauerhaft lahmlegen.

Als Torschützen für ihren leicht ladegehemmten Rückraumregisseur, dem allerdings immer noch vier Tore gelangen, sprangen vor allem Carlen (4), der sichere Siebenmeterverwandler Jilsen (4/4) und der überragende Magnus Wislander in die Bresche. Sie nutzten rigoros die verwunderlichen Schwächen der sowjetischen Abwehr und brachten ihr Team in der 38. Minute mit dem Tor zum 15:14 erstmals in Führung.

Dabei hatte die Partie für die Schweden so begonnen, wie es allgemein erwartet worden war. Ängstlich und nervös unterliefen ihnen technische Fehler, die die bisher absolut souveränen Sowjets zu ihren gefürchteten Kontern nutzten. Im Handumdrehen hieß es 7:3 für die UdSSR, ein schwedisches Debakel schien sich anzubahnen. Plötzlich aber schlichen sich auch ins Spiel der Sowjetunion Unkonzentriertheiten und Mißgriffe ein. Dem hochgelobten Atawin gelang praktisch nichts, der sonst so durchschlagskräftige Flügelstürmer Karshakewitsch traf im ganzen Match nur ein einziges Mal, und allein Alexander Tutschkin, mit 52 Treffern der erfolgreichste Werfer dieser WM, blieb mit elf Toren (darunter vier Siebenmetern) einigermaßen im Soll.

Gerade er war es jedoch, der großen Anteil daran hatte, daß die Schweden den Rückstand bis zur Halbzeit auf 11:12 verringern konnten. Immer wieder warf der 2,03-Meter-Recke mit dem Antlitz eines bolschewistischen Matrosen aus einem Eisenstein-Film überhastet aus schlechter Position am Tor vorbei oder auf den Körper von Torwart Mats Olsson. Und in der zweiten Halbzeit war es ebenfalls Tutschkin, der zehn Minuten vor Schluß die endgültige Niederlage der UdSSR einleitete, als er beim Stande von 19:23 ein einziges Mal beim Siebenmeter patzte.

Danach häuften sich tölpelhafte Ballverluste der sowjetischen Angriffsspieler, Torwart Mats Olsson wurde immer besser, Stefan Olsson nützte klug die dreißig Sekunden, nach denen ein Torwurf erfolgen muß, bis zur Neige aus und der Vorsprung blieb bis zum Endstand von 27:23 bestehen. Minutenlang lagen sich die überraschten Sieger nach dem Schlußpfiff in den Armen, während die etwa 500 schwedischen Fans auf der Tribüne enthusiastisch tobten und schon freudig den Pilsener-Strömen in den Prager Gasthäusern entgegenfieberten.

„Ein herrliches Finale“, jubelte Schwedens Chefcoach Bengt Johansson, sein sowjetischer Kollege Anatoli Jewtuschenko, seit 1967 im Amt und seither zweimal Olympiasieger (1976, 1988), einmal Weltmeister (1982), sah das naturgemäß anders: „Meine Jungs sind traurig und ich muß arbeiten.“

Matti

Die weiteren Ergebnisse:

Spiel um Platz drei: Rumänien - Jugoslawien 27:21, Spiel um Platz fünf: Spanien - Ungarn 23:19, Spiel um Platz sieben: CSSR - DDR 17:16, Spiel um Platz neun: Frankreich - Island 29:23, Spiel um Platz elf: Polen - Südkorea 33:27.

Die ersten neun sind für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona qualifiziert.