Ein Hoffnungsschimmer für Haiti

■ Haitis Diktator Avril von Stellvertreter abgelöst / General Abraham will nur drei Tage regieren und dann an eine provisorische Regierung übergeben, die Neuwahlen organisieren soll / Bevölkerung hält sich mit Freudenfeiern zurück / Tote bei Sturm auf Haus eines Polizisten

Port-au-Prince (afp/dpa/taz) - „Es gibt keine Diktatur mehr.“ Mit diesen Worten zitierte gestern der französische Sender „France Info“ den haitianischen Vizepräsidenten General Herard Abraham, der nach dem Rücktritt des Militärs General Prosper Avril provisorischer Machthaber der Karibikinsel ist. Avril hatte am Samstag nach massiven Protesten aller großen Parteien und der wichtigsten Organisationen die Amtsgeschäfte abgegeben und wird wahrscheinlich ins Exil gehen. Abraham will nur drei Tage lang im Amt bleiben, bis sich die Lage auf der Insel stabilisiert hat. Nach Avrils Rücktritt kam es am Samstag abend zu Ausschreitungen gegen Anhänger der Militärjunta. Sechs Menschen wurden von einem Hilfspolizisten erschossen, als sie sein Haus erstürmen wollten.

In einer Fernsehansprache kündigte Interims-Präsident Abraham an, er werde die Macht nach 72 Stunden an eine provisorische Regierung abgeben, die Neuwahlen innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate organisieren solle. Der General rief alle Parteien, „Meinungsführer“ und die Kirche zur Mitarbeit bei der Beendigung der Krise auf und versicherte, daß es keine Schwierigkeiten zwischen der Armee und der politischen Macht geben werde. Am Abend kam Abraham mit Vertretern der zwölf wichtigsten Oppositionsparteien zusammen, um mit ihnen über seine Nachfolge zu beraten. Die Oppositionsvertreter berurteilten das Gespräch als „konstruktiv und positiv“. Sie fordern die verfassungsrechtliche Regelung, wonach der Präsident des Obersten Gerichtshofs bis zu den Neuwahlen die Staatsgeschäfte leiten kann.

Ungewöhnlich gleichmütig reagierte unterdessen die Bevölkerung Haitis auf die Nachricht von Avrils Rücktritt. Offenbar ist man skeptisch über den neuen Militär im Amt, ein verständlicher Skeptizismus angesichts der seit über 30 Jahren nahtlosen Wechsel von Diktator zu Diktator, hießen sie nun Duvalier, Namphy oder Avril. „Wir werden erst feiern, wenn der neue General auch weg ist und es eine zivile Regierung gibt“, so ein Mann vor dem Nationalpalast. In Port-au-Prince und anderen Städten des Landes feierten lediglich kleinere Gruppen auf den Straßen ihren Sieg über die Junta. In der Hauptstadt ruhte der Verkehr, die meisten Geschäfte blieben geschlossen. Wiederholt gaben Soldaten Warnschüsse ab, um Jugendliche am Bau von Straßenbarrikaden zu hindern. Abraham soll garantieren, daß nicht nur das Militär den Übergang zu einer Zivilregierung akzeptiert, sondern auch die berüchtigte 1.300 Mann starke Garde Avrils aufgelöst wird.

Washington begrüßte unterdessen die Entscheidung Abrahams, seine Macht wieder abzugeben, und erklärte sich bereit, der neuen provisorischen Regierung bei der Organisation „ehrlicher und freier“ Wahlen zu helfen. Ein Sprecher des US -Außenministeriums rief die haitianischen Militärs auf, den „demokratischen Prozeß zu verteidigen“, und appellierte an die Bevölkerung, die Bemühungen um einen Ausweg aus der Krise zu unterstützen. Der neue US-Botschafter Adams war maßgeblich an Avrils Abgang beteiligt. Präsident Bush hatte am Donnerstag noch gemeint, Haiti und Kuba seien die einzigen Staaten, die den Kontinent daran hinderten, „völlig frei“ zu sein.

Avril war im September 1988 nach einem Militärputsch gegen den Vorgänger Henry Namphy an die Macht gekommen und anfänglich von den USA und Frankreich wie auch der eigenen Bevölkerung unterstützt worden. Doch er verspielte den Vertrauensbonus. Bald herrschte er via Ausnahmerecht, die Inselrepublik versank weiter in Mißwirtschaft und litt verstärkt unter den Folgen ökologischen Raubbaus. In den letzten Tagen war es trotz des teilweise brutalen Vorgehens der Soldaten immer wieder zu Massenkundgebungen gekommen, bei denen insgesamt vier Menschen starben. Die Opposition hatte schließlich für Montag zum Generalstreik aufgerufen, sollte Avril bis dahin nicht zurückgetreten sein. Endgültig abgedankt hatte Avril bei ihr, als er im Januar unliebsame Oppositionelle des Landes verwies.

AS