Öffentlichkeit wachrütteln

■ „Sexueller Mißbrauch an Mädchen“: Ausstellung zu einem Tabuthema im Rathaus Charlottenburg

Jedes dritte Mädchen in der Bundesrepublik erfährt in seiner Kindheit sexuelle Gewalt. Die Täter sind fast nur Männer und kommen meist aus dem engsten Familienkreis des Kindes. Als Regel gilt, je jünger die Opfer, desto höher die Dunkelziffer. In der gestern im Charlottenburger Rathaus eröffneten Ausstellung „sexueller Mißbrauch an Mädchen“, die von der Wildwasser e.V. erarbeitet wurde, wollen Frauen das Tabuthema aufbrechen. Sexuelle Gewalt gegen Kinder gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten. 60 Prozent von drogenabhängigen Frauen sind in ihrer Kindheit sexuell mißhandelt worden. Von Prostituierten sogar 75 Prozent.

„Wir müssen die Leute sensibilisieren, die müssen Antennen für das kriegen, was passiert“, sagt Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel. „Wir wollen Hilfestellungen leisten und die Öffentlichkeit wachrütteln.“ In vier möblierten Räumen, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Kinderzimmer zeigt die Ausstellung verschiedene Situationen, in denen Kinder sexuellem Mißbrauch ausgesetzt sind. In Bildern haben Kinder ihr Leiden aufgemalt, die Aussagekraft steht für sich. Sexuelle Gewalt gegen Kinder zieht sich durch die gesamte Geschichte. Bereits die griechischen Gelehrten Herodot und Plutarch berichteten von inzestiösen Monarchen, die sich brüsteten, Väter der Kinder ihrer Töchter zu sein. Unter dem Kreuz der Kirche erklärte man früher Sex mit Kindern unter sieben Jahren kurzerhand für ungültig, haben durfte man ihn demnach, bloß bestraft werden konnte er nicht (Wildwasser -Marburg). Die Ausstellung zeigt, wie heute der Verkindlichung von Frauen in den Medien umgekehrt die Erotisierung von Kindern gegenübersteht. In der Werbung werden die Frauen immer jünger, es wimmelt vor Mandys, Sandys und Tinis, die hinter Schmollmund und Augenaufschlag ihre Kindlichkeit verstecken. Kinder werden oft als Eigentum der Eltern angesehen, so die VeranstalterInnen. Die Erziehung sei immer noch auf den Gehorsam gegenüber Autoritätspersonen ausgerichtet.

„Wir wollen das Tabuthema auch im Rathaus brechen“, erklärt die Charlottenburger Frauenbeauftragte Brigitte Kippe. Außerdem glaube sie an erfolgreiche Kooperation mit Schulen, denn gerade LehrerInnen und ErzieherInnen müßten mit dem Problem umgehen lernen. Die Ausstellung wird von allen Fachbereichen des Bezirksamtes, die mit dem Problem konfrontiert sind, gemeinsam veranstaltet. Zum Programm gehören außerdem Diskussionsveranstaltungen (teilweise nur für Frauen). Gespräche werden absolut vertraulich behandelt. Zu sehen ist die Ausstellung im Rathaus Charlottenburg (wochentags von 10 Uhr bis 18 Uhr) bis zum 23. März.

Julia Schmidt