Der kubanische Knoten

Der im Exil lebende kubanische Schriftsteller Rene Vazquez Diaz geht der Frage nach, warum Kubas Kommunisten (noch) an der Macht sind  ■ D O K U M E N T A T I O N

Weshalb erheben sich die Studenten der Universität von Havanna eigentlich nicht gegen den anachronistischen Absolutismus der Kommunistischen Partei? Weshalb organisieren all die einfachen Kubaner aus der Sierra Maestra, aus Escambray oder aus Cienaga de Zapata nicht eine Partei wie die polnische, die sich für den freien Markt einsetzt? Was ist es denn genau, das die rätselhafte Unterwerfung der kubanischen Intellektuellen unter den hermetischen, herabwürdigenden Dogmatismus eines Regimes möglich macht, das sie dazu verurteilt hat, eine unmündige Minderheit zu sein? Warum geht das kubanische Volk nicht, wie das rumänische Volk, in Massen auf die Straße, um Fidel Castro loszuwerden und um ein demokratisches Mehrparteiensystem zu installieren, das sich an Marktwirtschaft orientiert? Warum haben sie immer noch nicht dafür gesorgt, die zivilisatorisch-progressiven Reformideen ins Land zu holen, die ganz Osteuropa in Bewegung gebracht haben? Läßt sich das einzig und allein durch Zensur und Informationssperren, eiserne Polizeikontrollen, die „undurchlässige“ (also makellose) doktrinäre Unterdrückung und die daraus resultierende Angst erklären?

Der Kommunismus in Kuba ist nicht als Sieg vom Himmel gefallen, er kam auch nicht durch einen Krieg zwischen Staaten, und keine fremde Armee hat den Kubanern dieses System aufgezwungen; er entstand vielmehr durch einen umfassenden Volksaufstand, der sich radikalisierte, und der sich schließlich entfremdete - und zwar durch ein Klima ständiger blutiger Konfrontation mit den USA. Im Gegensatz zu Ländern wie der Tschechoslowakei und Ungarn hat Kuba keine vorzeigbare politische Vergangenheit, die es erlauben würde, sich auf seine demokratische Tradition zu berufen: Vor 1959 war Kuba ein elendes Touristenparadies, wo keine Entscheidung ohne die Zustimmung der US-Botschaft getroffen wurde. Während in den letzten Jahrzehnten die atemraubenden kommunistischen Regimes in Europa - getrennt durch Mauern und Vorhänge aus Angst - neben wirklichen Demokratien lebten, in denen die Menschenrechte respektiert wurden, und wo, trotz mancher Unvollkommenheiten, ein zivilisierter politischer Dialog stattfand und die Hoffnung auf Wohlstand wachsen konnte, hat der atemraubende Kommunismus auf Kuba in steter Nachbarschaft zu einem Lateinamerika ohne wirkliche Demokratien gelebt, in denen alle Menschenrechte verletzt wurden.

Verachtung

In einem herausragenden Westeuropa konnte, verstärkt durch das positive Sekret Okzident, ein tiefer Respekt für die demokratischen Ideale immer festere Wurzeln schlagen; und das enorme Entwicklungspotential dieser Ideale verwandelte sich in einen Traum, der mit der Gründung einer Gewerkschaft - Solidarnosc - wahr zu werden begann. In Lateinamerika verarmt, verschuldet, verroht und fast verschwunden (in Argentinien haben sich 30.000 Menschen in Luft aufgelöst, in El Salvador wurden 70.000 ermordet) - in diesem Lateinamerika hat das Scheitern der demokratischen Ideale gar keinen Traum entstehen lassen. Während also Rumänen, Polen, Tschechen und Ost-Deutsche sagen können: „Wir wollen eine Demokratie haben wie die Schweiz, Frankreich und Italien“, fiele es keinem Kubaner ein, eine Demokratie herbeizusehnen wie die von Haiti, Honduras oder Guatemala.

Warum wohl sollte ein einfacher Kubaner, den die Inanspruchnahme eines öffentlichen Gesundheitssystems ohnegleichen in Lateinamerika - nichts kostet, sein Schicksal ausgerechnet gegen das eines salvadorianischen Bauern eintauschen? Was könnte denn schon den Zauber jener Demokratie ausmachen, die die USA so sehr unterstützen, die aber lediglich auf einer rückständigen Oligarchie von Blutsverwandten basiert, überdies sehr katholischen, mit fünf Millionen Menschen, die im Elend leben? In diese konvulsive Region gehört Kuba nämlich, und jede Analyse eines möglichen Wandels muß die Haltung der USA miteinbeziehen. Und welche Hoffnungen auf eine Demokratie mit sozialem Fortschritt erlauben die USA denn tatsächlich? Wo müßten kubanische Demokraten sich denn umsehen, um ein politisches Modell zu finden, das sie aus ihrer kommunistischen Diktatur herausbrächte? Als Kubaner mit Sympathien für die Sozialdemokratie sagen wir: bei den Spaniern zum Beispiel und bei deren Umwandlungsprozeß hin zur Demokratie - korrigierte Marktwirtschaft (wie Fernandez Ordonez sagt), Mehrparteiensystem, völlige Freiheit aller Bürger. Aber, oje! Das spanische Modell konnte doch nur deshalb verwirklicht werden, weil es spanisch ist und eben nicht guatemaltekisch, nicaraguanisch, chilenisch, panamaisch, grenadisch oder kubanisch. Wäre Felipe Gonzalez ein Sozialistenführer aus El Salvador, so hätten sie ihn längst gepackt und mit dem Kopf in ein Faß getunkt; und gleich daneben Alfonso Guerra, dem sie das Maul mit den eigenen Hoden gestopft hätten. Und was wäre mit Lech Walesa zum Beispiel in Guatemala geschehen? Von wegen Chef einer mächtigen Gewerkschaft. Hühnerdreck!

Die Intellektuellen, die in Kuba leben, schlucken die Kritik einfach herunter, die Fidel Castro verdient hätte, „um dem Feind keine Munition zu liefern„; und die, die außerhalb Kubas leben, trauen sich aus den gleichen Gründen nicht, die schlichten Wahrheiten über die USA zu sagen, die ich hier benannt habe. Reinaldo Arenas - ein Mann, dem die engstirnigen, satrapenhaften kubanischen Bürokraten so viel Leid zugefügt haben - sagte in New York mal zu mir: „Junge, Junge, solche Dinge kannst du in Schweden sagen, aber doch nicht hier!“ Dabei hatte ich bloß gesagt, niemand gleicht einem kubanischen Kommunisten mehr als ein kubanischer Antikommunist: Sie sind auf die gleiche Weise dogmatisch, tendenziös und holzschnitthaft.

Das ist er, der vermaledeite Knoten, den wir im Hals stecken haben. Der kubanische Kommunismus erhält sich nicht durch die ihm eigenen psychologischen oder ideologischen Kräfte, sondern weil er gegen etwas ist, er ist anstatt irgendeiner, noch schlimmeren Sache. Denn während die UdSSR

-traditioneller Oberaufseher über Infamie und Dummheit der europäischen kommunisten Regimes - sich intelligent und nobel von der Szene entfernt und eine zivilisierte Haltung annimmt, verschlimmern die USA - traditioneller Schirmherr über Infamie und Dummheit in Lateinamerika - ihre Politik und mischen sich primitiv, unzivilisiert und bar jeder Intelligenz in Schicksal und Eigenständigkeit ihrer weniger mächtigen Nachbarn ein. Die Blockade gegen Kuba ist die Offen-barung dieser Kurzsichtigkeit, und jeder anständige Kubaner muß das einfach verurteilen. So wie die Osteuropäer keinen Aufstand wagten, ehe sie spürten, daß sie sich von einer Brutalität befreien konnten, ohne daß ein anderer fremder Stiefel sie sogleich wieder treten würde, so sehen die Kubaner bis jetzt noch nicht deutlich genug, was sie konkret gewinnen könnten, falls sie gegen Castro rebellierten, wenn sie nur, was der Fall ist, US -amerikanische Grobheiten vor der Nase haben.

Der beispielhafte Feind

Das Unbehagen des kubanischen Volkes gegenüber einem Regime, das den Anspruch abwürgt, auf der Woge des Fortschritts frei mitzuschwimmen - was, wie wir hoffen, das Charakteristikum unserer Epoche ist - wird also relativiert durch die drohende Gegenwart der Vereinigten Staaten - „der ruhelose, schreckliche Norden, der uns verachtet“, diese Worte von Marti sind in Kuba sogar den Katzen in Fleisch und Blut übergegangen. Kuba ist also der Apfel, zwar schon reif, aber noch nicht auf den Boden der Union gefallen. Kuba wird ein Hurenhaus sein, oder es wird nicht sein. Die USA werden also in einem immer mehr in die Enge getriebenen Kommunismus einen exemplarischen Feind finden, dessen Geisel allerdings das kubanische Volk ist. Und die kubanischen Kommunisten werden sich ihrerseits auf diese Feindseligkeit stützen und darauf verweisen, daß ohne sie nicht nur die elementarsten und vitalsten Errungenschaften der Revolution, sondern die kubanische Nationalität verloren geht, und so wird dann schrecklich auf den Knoten gedrückt: Entweder „sie“ oder ein Hurenhaus.

Man muß nicht besonders gewitzt sein, um die doppelte Erpressung zu erkennen. Bis eines Tages irgendein Kubaner statt zum König zu sagen, daß der nackt herumläuft - sagt: „Fidel, daß die Nordamerikaner Unrecht haben, bedeutet nicht, daß du recht hast.“ Mal sehen, ob er sich dann beherrschen kann, oder ob er die Pistole zieht.

Gekürzt aus: El Pais vom 2.März 1990; Übersetzung: Anna Jonas