Achilles und die Schildkröte

Die KPI zwischen Bad Godesberg und Epinay  ■ G A S T K O M M E N T A R

Scheidung auf italienisch? Der 19.Parteitag der italienischen Kommunisten - der letzte dieses Namens -, der mit einem deutlichen Zweidrittelsieg der Reformlinie des Erneuerers Occhetto endete, war ein Theater der Emotionen. Der Familienkrach ist auch ein Generationskonflikt: Der getreue „Berlinguerianer“ Aldo Tortorella, der als „Königsmacher“ seinerzeit den jungen Achilles (Occhetto) zum Parteichef gekürt hatte und jetzt in Bologna, enttäuscht über den Revisionismus der Enkel-Generation, das Gegenreferat der alten Garde hielt, erlitt auf dem Rednerpodium einen Schwächeanfall und mußte ins Krankenhaus.

Mit eiserner Miene hatte der große alte linke Säulenheilige Pietro Ingrao der Parteitagsrede Occhettos zugehört, um dann unter den Ovationen des roten Kirchenvolkes die kommunistische Sendung als Parteinahme für die Verdammten dieser Erde, die Unterdrückten und Beleidigten zu verteidigen: Ingraos Ideal-Kommunismus ist weniger ein Parteiprogramm als eine Art „säkularisierte Bergpredigt“ (Massimo Cacciari), moralische Aufrüstung der Parteibasis gegen die Realos in der Parteiführung und den „reformistischen Clubs“, um die führende rot-grüne Zeitschrift 'Micro-Mega‘, die für eine stärkere Zusammenarbeit mit den Sozialisten eintreten.

Die Debatte in Bologna war demokratisch und melodramatisch. Auch die Versöhnung geschah auf italienisch: Unter Tränen und den Klängen von „Bandiera rossa“ umarmte schließlich Occhetto seinen Antipoden Ingrao... „Scham, Demut, beinahe Nacktheit“ gehören, wie die Ethnologen wissen, zu den Übergangsriten.

In der Tat: Occhettos Ziel geht weiter ale ein bloßes „Bad Godesberg“ der italienischen Linken, als eine neue programmatische Generallinie der alten Partei also: Die Reform soll endlich die Partei selbst ergreifen, soll sie zu einer demokratischen Bürgerrechtrspartei verändern. (Erster Erfolg: Der „demokratische Zentralismus“ ist nunmehr durch die faktische Konsolidierung von Fraktionen abgeschafft.) Doch das weitergesteckte Ziel Occhettos ist eher ein italienisches „Epinay“ - der Vereinigungsparteitag der französischen Sozialisten im Jahre 1973 mit der linkssozialistischen und christlichen „zweiten Linken“ (als deren Wortführer damals der heutige Premier Rocard zur Mitterand-Partei stieß).

Achilles hat eine Schlacht gewonnen, doch noch nicht den Krieg: Vor die Konstituierung einer neuen, nicht mehr ideologischen Linkspartei haben die Götter die Kommunalwahlen gesetzt, und wenn die KPI in dieser ihrer „Schwellenphase“ (Turner) eine empfindliche Niederlage erhalten sollte, könnte die Minderheit, die zwar kein Alternativprogramm, aber ein Identitätsproblem der roten Volkskirche Italiens verkörpert, auch wieder auf Obstruktion umschalten. Dann hätte die KPI ihre alte Identität verloren, aber keine neue gewonnen...

Und das günstigste - langfristige - Ergebnis? Allerhöchstens demokratische Normalität: Die erste Ablösung der Christdemokraten von der Regierungsmacht in Rom, vielleicht durch eine Art „Ampelkoalition“ aus Ex-KPI, Sozis, Grünen, Republikanern und Radikalen. Der anvisierte Partner, Sozialistenchef Craxi, warnte vor schnellen Hoffnungen: Die Mittel-Links-Koalitionen der sechziger Jahre hätten schließlich auch sieben Jahre Vorbereitungszeit gebraucht. Craxi hat den Vorsprung der Schildkröte im Wettlauf mit Achilles. Die Sozialisten sitzen nämlich schon in der Regierung.

Otto Kallscheuer

Der Autor ist politischer Lektor beim Rotbuchverlag. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung der europäischen Linken.