Die Verbeugung vor der Wegwerfgesellschaft

In Nordrhein-Westfalen wachsen die Müllberge und der Unmut der Bürgermeister / Jenseits aktiver Vermeidungspolitik ist die Müllverbrennung einziger Ausweg / BUND-Tagung in Essen kritisiert die Abfallpolitik und die Untätigkeit der Landesregierung  ■  Von Bettina Markmeyer

Essen (taz) - „Wie in der Energiepolitik müßte es das sinnvolle Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung auch in der Abfallpolitik geben: in dem Sinne, daß Worte mit Taten gekoppelt werden.“ Andreas Fußer, Abfallexperte des Bundes für Natur und Umweltschutz (BUND), traf mit diesem Satz das Desaster staatlicher Abfallpolitik. Er sprach auch aus der Erfahrung hochmotivierter UmweltschützerInnen, die aus ganz Nordrhein-Westfalen am Samstag in Essen zu einer Mülltagung zusammengekommen waren. Sie machte einmal mehr deutlich: Es mangelt nicht an Kreativität und Konzepten, nicht einmal an Instrumenten und gesetzlichen Vorgaben zur Müllvermeidung. Es fehlt allein der politische Wille.

Der Vertreter des nordrhein-westfälischen Umweltministers, Baedecker, hatte einen schweren Stand. Das Ende letzten Jahres herausgegebene sogenannte ökologische Abfallwirtschaftskonzept, aus dem er referierte, setzt, wie das bereits früher ausgearbeitete Rahmenkonzept für die Entsorgung von Industrie- und Giftmüll, auf weiteren, massiven Ausbau der Müllverbrennungsanlagen (MVA). Daneben sollen Haus- und Industriemüll trotz der ungebremst steigenden Mengen in den nächsten zehn bzw. fünf Jahren um 15 Prozent verringert werden. Eine noch sehr wacklige Absichtserklärung, die im Vergleich mit anderen Bundesländern zwar noch relativ hoch ist, die aber angesichts der Probleme des Industriestandorts NRW und jetzt schon existierender, gravierender Müllnotstände wie im Kreis Gütersloh nichts anderes sei, so die Kritik des BUND, als eine tiefe Verbeugung vor der Wegwerfgesellschaft.

Die NRW-Landesregierung, die derzeit mit dem Energieversorgungsunternehmen den Ausbau der Müllverbrennung forciere, könne nur dann politisch glaubwürdig werden, so Andreas Ahrens vom Hamburger Ökopol-Institut, wenn sie sich mit der Industrie anlege und für den Umbau besonders abfallintensiver und giftiger Produktionsverfahren gesetzliche Regelungen von der Bundesregierung einfordere. Scharf kritisierte Ahrens die SPD, „deren vornehmste Aufgabe in NRW“ es sein müsse, die IG Chemie von ihrer industrienahen Politik abzubringen. Das Sondermüllproblem sei ein Chemikalienproblem. Nur mit Unterstützung der Gewerkschaften könne aber an den Umbau oder an den Ausstieg in bestimmten Produktionszweigen wie etwa der Chlorchemie gedacht werden. Kritisch äußerten sich Fußer und Ahrens zu Recyclingverfahren und zum Einsatz von Ersatzstoffen. Der rein technologisch orientierte Umgang mit Industrieabfällen bringe häufig neue Giftprobleme mit sich. Ahrens plädierte für eine Verlangsamung des Warendurchlaufs, anstatt für giftige Stoffe andere einzusetzen, deren toxische Wirkung man wiederum nicht kenne. Die Ersatzstoffphilosophie ändere nichts am Tempo und an der Produktion immer neuer, umweltbelastender Waren. Fußer, der zu Hausmüllproblemen sprach, forderte, die Hersteller von Mehrwegverpackungen finanziell zu begünstigen und eine Beschränkung auf wenige, wieder trennbare Verpackungsmaterialien anzustreben. Die Hersteller müßten für ihre Produkte verantwortlich gemacht werden. Denkbar sei ein Leasing langlebiger Gebrauchsgegenstände, die anschließend vom Produzenten zurückgenommen und entsorgt werden müßten. Doch davon ist man weit entfernt. Mangels einer Müllvermeidungspolitik sei das Kaufverhalten der VerbraucherInnen noch immer der wichtigste Einfluß auf Handel und Industrie.

Obwohl das Hauptproblem in der Untätigkeit des Bundes geortet wurde, schöpfe auch das Land seine Mittel, etwa nach dem Bundesemissionsschutzgesetz, keineswegs aus, kritisierte der BUND. Vielmehr betreibe man vorrangig Krisenmanagement und genehmige als Ausweg Müllverbrennungsanlagen zunehmend sogar in dafür ungeeigneten Öfen der Industrie. Wenn, wie im Kreis Detmold, versucht werde, eine kommunale Getränkeverpackungssteuer einzuführen, wird dies von Innenminister Herbert Schnoor (SPD) wieder kassiert. Bitter beklagte sich auf der Tagung der Recklinghausener Bürgermeister Jochen Welt, daß die Kommunen mit ihren Müllbergen und den Bürgerprotesten gegen die Verbrennung allein gelassen würden. Der Bürgermeister hatte in der letzten Woche Schlagzeilen gemacht, weil er in einem Artikel die Müllverbrennungspolitik seines Parteigenossen und Umweltministers Matthiesen kritisiert und ihm Untätigkeit in Sachen Vermeidung vorgeworfen hatte. Den Kommunen die Einstellung von AbfallberaterInnen anzuempfehlen, ohne jedoch konkrete Angebote an Abfallerzeuger machen zu können, sei sinnlos. Viele Städte, wie z.B. Münster und Bielefeld, gehen in ihren Abfallsatzungen längst weiter und kassieren nicht nur von ihren BürgerInnen, sondern auch von Betrieben, die viel Dreck machen, mehr Geld als von anderen.

Mit der Forderung an die Landesregierung, endlich ein Vermeidungs- und Verwertungskonzept auf den Tisch zu legen, das den weiteren Ausbau der Müllverbrennung unnötig mache, beendete die nordrheinwestfälische BUND-Vorsitzende, Annette Brandenfels, die Tagung. BUND-Kreisgruppen hatten in den letzten Wochen gezielt Anfragen an SPD-Landtagsabgeordnete gerichtet, in denen sie um Auskunft zur Müllpolitik baten. Sie erhielten ein offensichtlich abgestimmtes Schreiben, in denen sie zunächst beschimpft wurden, „falsche Behauptungen“ über die Gefährlichkeit der Müllverbrennung zu verbreiten, um dann zur Zusammenarbeit mit SPD und Landesregierung bei der Lösung der Müllprobleme aufgefordert zu werden.