Ein wenig schieben, der Schönheit des Weges wegen

■ Mit dem Fahrrad einen ganzen Tag lang durch Wald und Flur unterwegs rund um den schönen Müggelsee

Die S-Bahn vom Alex nach Friedrichshagen fährt in einem raschen Takt. Aber nicht nur deshalb kann man die erweiterte Rundtour um den Müggelsee empfehlen: eine schöne Radwanderroute, meist durch Wald, die sich nahezu beliebig erweitern oder verkürzen läßt. Die Route beträgt ca. 35 Kilometer und füllt einen kurzen Wintertag gut aus.

Direkt am S-Bahnhof Friedrichshagen beginnt die Krummendammer Heide, die man auf einem Radweg neben der Schöneicher Landstraße durchquert. Auf der anderen Straßenseite verläuft die Straßenbahnlinie durch den Wald. Die Waldwege selbst sind alle recht sandig. Mit dem Waldrand hat man auch den Rand des Berliner Stadtgebietes erreicht, und mancher erschrickt vielleicht beim Lesen des Ortsschildes „Schöneiche“. Nein, das ist nicht das mit dem besonderen Müll. Die erste Straße rechts, und man stößt wieder auf die Tram-Gleise, denen man bis zum Goethepark folgt. Hier steht sie, die „schöne Eiche“, inmitten eines großzügigen Straßenrondells. Drei Menschen können ihren Stamm nicht umfassen. Die Goethestraße führt dann weiter an den Waldrand des Berliner Stadtforstes. Wenn man einen Hinweis zur „Gedenkstätte Rosa-Luxemburg-Schule“ sieht, sollte man ihm nicht folgen, außer man verspürt das Bedürfnis, mit dem Wächter darüber zu diskutieren, warum die Ausstellung seit November geschlossen ist. Schon die Tafel am Eingang entspricht nicht mehr ganz der Wahrheit, wenn vom „erfolgreichen Kampf gegen Imperialismus und Krieg für eine sozialistische deutsche Nation“ gesprochen wird.

Da die nächsten Straßen am Waldrand oft schlecht zu befahren sind, empfiehlt es sich, innerhalb des Waldes zu bleiben. Verfahren kann man sich nicht, da bald erneut die Straßenbahn den Wald durchquert. Diesmal ohne Straße daneben und daher noch viel romantischer. Es ist die Linie nach Woltersdorf, der man folgt. Nördlich der Gleise läßt es sich ganz passabel auf festem Sandweg radeln. Die Straße selbst ist durch Pflaster und Schienen fast unbefahrbar. Falls die Gaststätte linkerhand noch nicht geöffnet hat, ist's nicht schlimm, es kommen noch genug. Bald folgt eine noch geschlossene Eisdiele. Auch Geschäfte liegen links und rechts der Straße. Manchmal geht der Sandweg auch ins freie Feld über.

Weiter geht's den Straßenbahnschienen nach bis zur Woltersdorfer Schleuse. Zwar ist die Schleusenkammer von 1860, die Klappbrücke wurde aber in den letzten Jahren durch eine neue ersetzt. Der Kanal führt zu den großen Zementwerken Rüdersdorf, die einen zu Beginn dieses Jahrhunderts gefluteten Tagebau wieder in Betrieb genommen haben. Daher der Name Kalksee für den oberhalb der Schleuse gelegenen See, halten sollte man sich aber längs des Flakensees nach Erkner. Dieser Weg ist anfangs eine Promenade und wird später im Wald recht abenteuerlich. Ein bißchen Schieben sollte die Schönheit des Weges wert sein. In Erkner gerät man auf ein Stück stärker befahrene Straße, welches sich nicht umgehen läßt. Das Ortszentrum mit seinen Neubauten wirkt ziemlich zerfetzt. Im einzigen schönen Bau ist ein Gerhart-Hauptmann-Museum (von 10 bis 16 Uhr geöffnet; Sa/Mo geschlossen). Der Dämeritzsee läßt sich nicht auf der Südseite umfahren, also ein Stück zwischen Plastefabriken und Kasernen gen Hauptstadt hindurchfahren, bis man wieder nach links auf Schleichwege in den Hessenwinkel ausweichen kann. Über die Triglavbrücke überquert man dann den Müggelspree. Den Ortsteil Klein -Venedig mit seiner Rialtobrücke kann man getrost rechts liegen lassen. Es handelt sich um eine zu Tode gepflegte kleinbürgerliche Datschensiedlung. Die folgende kleine Brücke über die alte Spree findet man nur, wenn man bei dem „Einfahrt Verboten„-Schild gegenüber dem einzigen Telefonhäuschen weit und breit rechts abbiegt.

Jetzt hat's mit der Kompliziertheit ein Ende: Die „Rekonstruktion“ des Waldwegs schuf eine glatte Betonpiste Richtung Naturschutzgebiet Krumme Lake, an der nächsten Weggabelung geht es den glatten Schlackeweg Richtung Müggelsee, der sich bald mit dem Asphaltweg von den Müggelheimer Wiesen verbindet. So häßlich Beton und Asphalt sind, sie bleiben eine Wohltat für den Radler-Hintern.

Von der Endhaltestelle der Buslinie 27 führt ein Weg zur Gaststätte Neu Helgoland, ein anderer zum „Müggelhort“. Dazwischen liegt eine Bademöglichkeit mit steilem Sandstrand zum Kleinen Müggelsee. Grell leuchtet der weiße Sand durch die düsteren Kiefern. Bald ist der Große Müggelsee erreicht, und man hat jetzt eine schöne Strecke Uferwegs vor sich. Von den großen Gaststätten am Müggelsee ist der „Müggelhort“ noch die gemütlichste. Im Sommer rauscht die weiße Flotte direkt an der Terrasse vorbei. Im Moment hängt die ganze Kneipe voller CDU-Aufkleber, aber die Bedienung sagt trotzdem - wenn man sich an die schönen Fensterplätze setzen will - „sehn se nich‘, daß da nicht eingedeckt ist, nehm'se bitte da Platz“. Die matschigen Nudeln mit Gulasch sind teurer als ein ganzes Schnitzel an der Woltersdorfer Schleuse, und die Umtauschquittung wird einem auch recht schnippisch abverlangt. Ein Tip: Beim Bäcker an der Schleuse 'ne Tüte Kümmel-Salzstangen kaufen und sie im Bürgerbräu drüben am anderen Seeufer knabbern. Die „Müggelseeperle“ und der „Rübezahl“, das sind Riesen-Drive-ins, wie man sie sich am Rande eines amerikanischen Highway vorstellt.

Der offizielle Radweg verläuft mit etwas Abstand vom Ufer, ist aber wesentlich holpriger als die Promenade und war noch 14 Tage nach dem letzten Sturm nicht von heruntergefallenen armdicken Ästen befreit. Erholsam wird das Fahren dann wieder am Westufer des Sees, wo neben dem asphaltierten Gehweg noch ein asphaltierter Radweg besteht.

Dann geht's durch den Spreetunnel acht Meter unter der Wasseroberfläche hindurch. Wegen der Treppen heißt es jetzt das letzte Mal absteigen, bevor man das „Spinnerdorf“ Friedrichshagen erreicht. Mit Hilfe von Maulbeerbäumen und gefräßigen Seidenraupen wollte hier Fritz II. die preußische Spinnereiproduktion ankurbeln. Aber die Dörfler ließen sich die schmackhaften Früchte der kleinen Bäumchen wohl sein und saßen lieber in Kneipen und dichteten. Nach einem Literaten wurde die Straße auch in Bölschestraße umbenannt. Die Kneipen gibt's noch, die Bäume sind meist durch Bürgersteigparkplätze für Trabis ersetzt.

Mit der guten alten S-Bahn am Kopfende der Straße geht es dann wieder zurück.

Axel von Blomberg