ÜBERFLÜSSIGE LEHRER

■ Filme von Alice Wittenstein im Eiszeit-Kino

Bislang war der New Yorker Film-underground hier vor allem durch das Schaffen Richard Kerns (& seiner unzähligen Epigonen) bekannt, dessen Produktionen mit Lydia Lunch einige sensible Gemüter so bewegte, daß diese gleich ganze Kinos demolieren mußten. Zwei Filme von Alice Wittenstein, die sich allerdings stark von der grellen Bebilderung sexueller Obsessionen gesellschaftlicher Outcasts - wie es sonst den New Yorker Produktionen eigen ist - unterscheiden, werden noch heute im Eiszeit-Kino gezeigt. Wittensteins erster Film, Betaville - a postmodern nightmare (1986), lehnt sich in zweierlei Hinsicht an Godards Alphaville an. Zum einen benutzt sie wie Godard stilisierte Fragmente städtischer Architektur, um ihre Anti-Utopie in einer Gesellschaft der Zukunft zu plazieren, & zum anderen taucht auch in Betaville ein Detektiv auf. Wo Eddie Constantine dort jedoch noch den totalen Staat entdeckt, findet sich für Wittensteins Coman Gettme (dargestellt von Steve O., der gleichzeitig als Art Director fungierte & auch am Script beteiligt war) etwas weitaus Erschreckenderes, weil politisch nicht mehr Faßbares. Die bei Godard noch mögliche Hoffnung einer besseren Welt „da draußen“ wird in Betaville zu Grabe getragen.

Die Story nämlich beginnt eben in dem Moment, in dem der Fall gelöst ist & Gettme mit der von ihm geretteten Frau heimkehrt. Nach einer intergalaktischen Reise angekommen, muß er entsetzt feststellen, daß sich seine Stadt in einen „postmodernen Alptraum“ verwandelt hat: aseptische Büros, sterile Einkaufspassagen & triste New-Wave-Clubs werden von modisch gekleideten Zombies bevölkert; & sein Plan, der Geretteten sein Leben zu zeigen, scheitert tragisch, da sie sich „spaced out“ ihren Weg in die Herzen der „Modell Bürger“ Betavilles (nicht der Modellbürger eines autoritären Staates, nein, das flott durch die Einkaufspassagen flanierende Mode-Modell) ertanzt, während er als vollkommen unmodisch gebrandmarkt & ausgegrenzt wird. Gettme verliert seine Geschichte, die Frau & jede noch mögliche Hoffnung auf ein alternatives Gesellschaftssystem.

Die Idee zu diesem Film kam Wittenstein, als sie nach einer fünfjährigen Abwesenheit nach New York zurückkehrte. Was sie dort vorfand, läßt sich mühelos auch in London, Hamburg, Paris oder Berlin beobachten: ganze Stadtteile mit ihrer gewachsenen Infrastruktur waren verschwunden, saniert & durch schicke postmoderne Einkaufszeilen ersetzt worden. Da definiert sich das Soziale nicht mehr über ein Zusammenleben, sondern über die Kaufkraft. Der politische & kulturelle Raum der ursprünglichen Anwohner, ihre eigene Geschichte, wird gesprengt, es entstehen Fassaden des Geldes, die sich in allen Städten der Welt gleichen.

Uuuh, Uuuh! Das klingt anstrengend ernsthaft. Dieser Eindruck kommt aber dank der gut fotografierten, seltsam anmutenden Szenerie & der knappen, bissigen Dialoge nicht auf.

No such Thing as Gravity von 1989 ist Wittensteins zweiter Film. Auch hier verlagert sie soziopolitische Probleme von heute in eine imaginäre Zukunft, angereichert mit einer Menge schwarzen Humors. ...Gravity zeigt eine Welt, die von einer multinationalen Gesellschaft kontrolliert wird. LaFont heißen Besitzer & Firma, deren von SteveO konzipiertes, den Film als Zeichen förmlich beherrschendes - Logo wie Name an eine bekanntere Firma erinnert. LaFont liefert der Erdbevölkerung die nötigen Kleinigkeiten zum täglichen Überleben: Maschinen, die binnen Sekunden ankleiden, die augenblickliche Face-lifting -Operationen durchführen können & die auch vermögen, Kinder zu erziehen. Die Bewohner partizipieren nicht mehr an einem öffentlichen politischen Diskurs, sondern allein durch ihre Fähigkeit & ihren Willen, am Warentausch teilzunehmen. Wer dies nicht tut oder sonstwie überflüssig erscheint - wie Lehrer - wird auf einen künstlichen Erdsatelliten verbracht. Ausgangssituation der Handlung ist der drohende Sturz dieses Planeten der Verdammten auf die Erde.

Die Auflösung der Plots soll nicht verraten werden, u.a. geht es aber auch um Liebe. Der Verteidigungsminister der Erde (Nick Zedd), mit dem Zustand der Gesellschaft & seiner Beziehung zu einer der Topmanagerinnen der LaFont Corp. unzufrieden, wird exiliert & lernt die Botschafterin Nova Terras (Emmanuelle Chaulet) kennen & lieben. Diese führt ihn (& den Zuschauer) durch den verrufenen Ort des Exils, der sich - ach! - als lebenswertere Gesellschaftsform entpuppt.

...Gravity wurde am Schauplatz der Weltausstellung von 1964 gedreht. Dies & die persönliche Vorliebe Wittensteins & des diesmal Production Designers geheißenen SteveOs für Science-fiction-Filme der späten fünziger, frühen sechziger Jahre gibt dem Film sein simpel-futuristisches Aussehen. Ebenfalls diesem fruchtbaren Genre entlehnt sind solch grandiose Dialoge, in denen mit Zahlen, obskuren Formeln & Berechnungen das Drama der Weltenkollision wissenschaftlich veranschaulicht wird. Zudem ist das Ganze in Schwarz-Weiß gehalten & wird von expressionistisch anmutenden Einstellungen dominiert. Erinnert also sehr stark an diese alten prächtigen B-Movies.

Beide Filme Wittensteins sind Low-budget-Produktionen auch wenn sie nicht unbedingt so aussehen. Bei ...Gravity jedoch spielen gar einige Quasi-Stars mit; so der genannte Nick Zedd (überaus umtriebig in den verschiedenen Medien, seine Filme - immer an Kern erinnernd

-liefen vor wenigen Tagen im Eiszeit. Zedd, der für seine Rolle erstmalig Schauspielunterricht nahm, ist inzwischen ob seines Engagements betrübt; zwar wußte er, daß ...Gravity eine schwarze Komödie werden sollte, & amüsierte sich selbst über die anderen Charaktere, daß aber das Kinopublikum über ihn ebenfalls lachte, fand er nicht mehr komisch.), Taylor Mead, Hauptdarsteller in Warhols Lonesome Cowboy, Emmanuelle Chaulet, Hauptdarstellerin in Rohmers Freunde & Freundinnen, sowie Bonnie Comely, in den USA bekannt durch ihre Badeöl-Spots.

R.Stoert

Nur noch heute, um 21.30 Uhr im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20.