piwik no script img

Mit Nestle gegen Schnur und Kohl

In Leipzig trommelte Joschka Fischer für Europa: Deutscher Nationalismus nur durch Einbindung zu bekämpfen / Bündnis Kapital - Arbeit? / Deutschlandfahne spießte Europa-Ballon auf  ■  Aus Leipzig Dietmar Bartz

Die letzte Montagsversammlung in Leipzig, zu der noch einmal mehrere zehntausend Menschen gekommen waren, ganz unter dem Zeichen des europäischen Gedankens - so hatten sich das ein paar clevere Werbeleute aus Baden-Baden gedacht. Während der Kundgebung sollte ein großer Fesselballon, blau und goldene Sterne des Europarats, mit Heißluft gefüllt werden und dann langsam über die Demo und die Stadt aufsteigen. Doch es kam anders: Die Demo fiel aus, und eine Böe packte den halbgefüllten Ballon, der vom Stock einer Deutschlandfahne aufgespießt und durchlöchert wurde.

Die Anekdote hatte Symbolcharakter - wenigstens für einen Teil der rund hundert BesucherInnen einer kleinen Veranstaltung, zu der der Rotbuch-Verlag am Abend in Leipzig geladen hatte. Zum Streitgespräch angetreten waren Joschka Fischer, einst grüner Umweltminister in Hessen, und Reiner Land, Ökonom an der Humboldt-Universität und PDS-Reformer. Gestritten werden sollte über Das Umbaupapier. Argumente gegen die Wiedervereinigung, das soeben bei Rotbuch erschienen ist. Doch auch hier kam es wieder anders: Fischer war der Star des Abends. Und so recht mochten sich Land und die anderen Interessenten nicht an den im intellektuellen Diskurs erfahrenen Frankfurter heranwagen. Weitgehend ohne Einwände blieben denn auch die beiden Hauptthesen Fischers: Gegen die Gefahr des wieder erstarkenden deutschen Nationalismus helfe nur die „europäische Perspektive“. Dabei sieht er einen mächtigen Verbündeten: das Kapital, dem die Nationalstaaten zu eng geworden sind. Zugleich solle die Politik von der Wirtschaft streng geschieden werden. Unter die alten linken Ideologien vom bösen Kapitalisten gehöre ein Schlußstrich, die Frage sei nunmehr, welche Bedeutung die Wirtschaft zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit habe.

Starker Tobak war zumindest das Letztere für die DDR -Linken. Land mochte ihm immerhin zustimmen, daß Kapitalverwertung nicht an sich schlecht sei, sondern anhand der „inhaltlichen Bestimmung“ bewertet werden müsse. „Aber nicht über Staatsinterventionen“, sorgte sich Fischer, und auch Unternehmens- oder Wirtschaftsräte mochte er für die Wirtschaft nicht für praktikabel halten. Institutionalisiert werden sollen Rechte: Das Verbandsklagerecht etwa oder Kontrollrechte für Bürgerinitiativen.

Ganz undiskutiert blieb aber die europäische Perspektive die Scheidung von Wirtschaft und Politik in einem Europa, das größer ist als die EG. Hier Brüssel mit dem Binnemmarkt der Zwölf und einem achtlosen Parlament, dort Helsinki und die KSZE als Regierungsunternehmung - was es dazwischen, daneben oder darüber noch geben könnte, kam nicht zur Sprache.

Mit Europa gegen Deutschland - auf den ersten Blick wirkte der Gedanke bestechend. Aber gerade unter realpolitischen Gesichtspunkten kann er nur einen Akzeptanzschub zugunsten einer EG sein, die ihren Willen, die von Fischer geforderten rigiden Rahmenbedingungen zu setzen, bislang noch kaum unter Beweis gestellt hat. Das Bündnis antinationalistischer Linker mit dem transnationalen Kapital dürfte zwar auf das wohlwollende Interesse der Industrie stoßen, aber genau dann aufgekündigt werden, wenn es tatsächlich an das Festlegen der Rahmenbedingungen geht. Dem linken Übergang vom Klassenkampf zur Gattungsfrage entspricht auf der Unternehmensebene eben nicht der Übergang von der Betriebs zur Volks- oder gar weltwirtschaftlichen Verantwortung, weil ein solcher Interessenwechsel im Widerspruch zur Marktwirtschaft steht.

Fischer forderte ausgerechnet in Leipzig etwas ein, das nun in der DDR abgrundtief diskreditiert und soeben abgeschlossen wird: wirtschaftliches Handeln im volkseigenen Interesse. Da erschien es schon weniger widersprüchlich, daß eine ganze Reihe der Montagsdemonstration zwei Fahnen mitgebracht hatten: die deutsche und die europäische.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen