Das Grüne Haus zerbröckelt

Die Grünen vor der Gefahr der Spaltung  ■ K O M M E N T A R

Drei Wochen vor dem Parteitag in Hagen mehren sich die Zeichen, daß die seit langem existierenden Bruchlinien sich bis zur Einsturzgefährdung des grünen Hauses erweitert haben. Selbst gegenüber der gegenseitigen Beschimpfung auf offener Bühne, wie er Anfang Januar zum zehnjährigen Jubiläum der Partei stattfand, muß die gegenwärtige Entwicklung als bedrohliche Eskalation gesehen werden. Der Bundesvorstand - vor genau einem Jahr im Strömungsproporz neugewählt - ist bis zur Handlungsungfähigkeit zerrüttet; die Debatten des Gremiums haben oft genug die Qualität einer von beiden Seiten betriebenen geistigen Körperverletzung. Um Inhalte geht es längst nicht mehr; allein die Formalien des Satzungsrechts werden zum Schlachtfeld gemacht. Die Erkenntnis, daß der GAL-Konflikt von der Positionsbestimmung zur Deutschlandpolitik ausgelöst wurde, interessiert keinen mehr. Das Ziel ist längst weiter gesteckt.

In den letzten Monaten ist nahezu jedes Thema zwischen den Strömungen bis zur Unkenntlichkeit zermahlen worden. Ergebnis: je kleiner die politische Schnittmenge, desto handlungsunfähiger die Partei. Selbst das vor zwei Wochen verabschiedete Papier zur Deutschlandpolitik, das die Konförderation zweier deutscher Staaten propagiert, ist sein Papier nicht wert, weil es den einen nicht weit genug, den anderen schon viel zu weit geht. Das hat Folgen. Entscheidend für die Grünen ist längst nicht mehr, was der Bundesvorstand beschließt, sondern was die Wortführer der Strömungen dazu sagen. Selbst die formale Legitimation ist dem Bundesvorstand abhanden gekommen, nachdem Ende Januar der Bundeshauptausschuß als höchstes Gremium zwischen den Parteitagen für Juni die vorzeitige Neuwahl aller drei Parteisprecher angesetzt hat. Angesichts dessen verwundert lediglich, daß die Vorständler nicht längst den Büttel hingeschmissen haben.

Es scheint, als ob sich das labile Gleichgewicht der Gründung, als sich die Ökologen mit jenen zusammentaten, die das Gedankengut der ehemaligen Kaderparteien einbrachten, endgültig als eine unverträgliche Gemenge-Lage entpuppt. Ob Realos oder die Parteilinke mehr Verantwortung für die gegenwärtige Entwicklung tragen, ist kaum zu entscheiden nur mit den Ergebnissen einer Spaltung werden beide Teile leben müssen. Auch die einst zwischen den Flügeln agierende „Aufbruch„-Gruppe hat jede Integrationskraft verloren. Dabei treibt nicht eine unverträgliche Bandbreite die Partner auseinander, sondern der bis in höchste Parteiämter spürbare absolute Mangel einer Solidarität mit der Gesamtpartei. Wie froh Realos sein können, wenn sie endlich allein im grünen Haus sind, mag man sich deshalb ebensowenig ausmalen wie die Chancen, die eine neue linke Gruppierung unter Einschluß der PDS haben kann. Daß mit der im Schnellgang auf demokratisch gestylten PDS angesichts der Revolution in Osteuropa hierzulande kein Blumentopf zu gewinnen ist, darf allerdings als sicher gelten.

Die Chancen, daß die Flügel in der Selbstzerfleischung innehalten und sich besinnen, sind gering. Die Einsicht ist verlorengegangen, daß für das Profil der Grünen beide Flügel ihre Funktion haben; es geht den Protagonisten darum, recht zu behalten. Das hat mit Politikfähigkeit nicht mehr viel zu tun. In den letzten Jahren hat es zumindest die Bindungskraft der Fünf-Prozent-Klausel geschafft, die Grünen zusammenzuhalten. Es spricht für die Tiefe der Zerrüttung, daß auch diese Frage offenbar keine Rolle mehr spielt.

Gerd Nowakowski