Dorf des Vergessens hat Angst vor Slawen

Österreicherische Fremdenfeindlichkeit erreicht vorläufigen Höhepunkt in dem Regierungsentscheid, Rumänen ab heute nacht nur noch mit Visum einreisen zu lassen / Stimmung für den Beschluß durch gezielte „Überfremdungsaktion“ des Ortes Kaisersteinbruch vorbereitet  ■  Aus Wien Michael Völker

Kaisersteinbruch, ein burgenländischer Ort mit 200 Einwohnern, war bislang nur Historikern und der älteren Generation ein Begriff. Gefangenenlager im Ersten Weltkrieg, und Gefangenenlager auch unter Hitler, der 1938 gleich das ganze Dorf auflöste. 20.000 Russen, Polen, Jugoslawen und Rumänen sind hier verhungert und begraben. Die Grabsteine sind geschliffen, „weil wir wollen diese Sachen endlich vergessen“, erklärt da ein Ortsbewohner.

„Kaisersteinbruch hat Angst“, steht auf einem Transparent. Auch „Breitenbrunn hat Angst“, Angst vor 800 männlichen Rumänen, die das Innenministerium in der Kaserne von Kaisersteinbruch einquartieren wollte. Eine Woche lang probten die „Steinbrecher“, wie sie sich nennen, mit Demonstrationen, der Erstürmung der Kaserne und Blockaden den Aufstand. Und setzten sich durch: Kein Flüchtlingslager in Kaisersteinbruch. Aber auch das Innenministerium setzte sich durch: Die Stimmung war günstig, und so konnte im Eiltempo die Visumpflicht für Rumänen beschlossen werden. Ab Mittwoch 24 Uhr sind die Grenzen dicht. Seit Ende Januar gilt bereits für türkische Staatsbürger der Visumzwang.

Die Kaisersteinbrucher und viele andere Österreicher berufen sich darauf, zu Weihnachten ohnedies für die Rumänen gespendet zu haben: „Und jetzt solln's dort bleiben.“ Der Bürgermeister des Ortes suchte Verständnis für seine Leute: „Sie müssen einmal sehen, wie unsere Frauen vor den Rumänen zittern.“ In Kaisersteinbruch ist der latente österreichische Fremdenhaß voll ausgebrochen. Im Wirtshaus dampft der Jagatee, ein Weinbauer droht: „Die soll'n arbeiten, die Grfraser, wir san im 45er Jahr a net davongrennt, ham a nix zum Fressn g'habt. Zu faul zum Arbeiten san's.“ Eine andere Stimme: „Die schicken uns doch nur den Mist. Wenn die uns deutsche Familien aus Siebenbürgen schicken würden, gut. Aber die Slawen.“

Österreich unterscheidet penibel genau zwischen „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „politischen Flüchtlingen“. Sektionschef Armin Hormann, oberster Flüchtlingsbeamter im Innenministerium, erklärt den Unterschied: „Wenn einer seine individuelle Verfolgung nachweisen kann, dann ist er politischer Flüchtling und bekommt Asyl.“ Bei den Kurden „arme Hunde“, räumt Hermann ein - habe es „den schlechten Beigeschmack, daß dort geschossen wird“. Aber sie könnten ja auch nach Istanbul gehen, „dort passiert ihnen nichts“. Das gleiche gelte für jene Türken, die in Bulgarien unterdrückt werden. „Die Tatsache, als Bevölkerung zweiter Klasse zu gelten“, sagt der Sektionschef, „stellt noch kein Anrecht auf Asyl dar.“

Mehr als 20.000 Menschen haben 1989 in Österreich um Asyl angesucht, allen voran 8.000 Rumänen, über 3.000 Türken und 3.000 Tschechoslowaken. Bei nur einem Zehntel von ihnen wurde der Asylantrag positiv erledigt. Die anderen wurden aus der Bundesbetreuung entlassen und zum Heimkehren aufgefordert.

Insgesamt betreut Österreich zur Zeit 22.000 Ausländer in Flüchtlingslagern, Pensionen und Privatquartieren, das Innenministerium rechnet für 1990 mit 30.000 weiteren Asylbewerbern.

Um das Schlepperwesen einzudämmen, versprach Innenminister Franz Löschnak im Dezember eine Änderung des Fremdenpolizeigesetzes: Das „Schleppen“ („Wer um seines Vorteils willen mitwirkt, daß ein Fremder illegal die Grenze überschreitet“) sollte einen strafrechtlichen Tatbestand darstellen und mit Freiheitsstrafe geahndet werden. Bislang mußten sich erwischte Schlepper vor einer Verwaltungsstrafe bis zu 20.000 Schillingen fürchten.

Vergangene Woche wurde die Novelle zum Paß-, Grenzkontroll und Fremdenpolizeigesetz beschlossen. Ergebnis: Flüchtlinge können bereits am Verlassen des Flugzeuges gehindert werden, sie kommen erst gar nicht in den Transitraum, wo sich der „Flughafensozialdienst“ ihrer annehmen könnte. Flüchtlinge können jetzt innerhalb bis zu sieben Tagen nach ihrer Einreise formlos abgeschoben werden. Früher waren es 24 Stunden.

Flüchtlinge können ausgewiesen werden, bevor sie noch die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. Künftig wird nicht mehr das Innenministerium über den Asylanträgen brüten, schon der Beamte am Flughafen oder in den Sicherheitsdirektionen der Bundesländer kann die Entgegennahme von Asylanträgen von Flüchtlingen, die illegal in das Bundesgebiet eingereist sind, verweigern: Wenn er den Eindruck hat, daß sie ohnehin nur das „Asylrecht mißbrauchen“. Bevor noch in einem Asylverfahren Umstände und Gründe der Flucht gehört und gewürdigt werden könnten, entscheidet der Grenzbeamte - nach der Hautfarbe, nach Nationalität und Haarfarbe.

Die österreichischen Zeitungen machen Stimmung, allen voran die beiden größten, 'Kurier‘ und 'Krone‘ aus dem WAZ -Konzern. Über „unser Steuergeld“ wird da täglich gejammert. „Wir dürfen nicht das Flüchtlingslager für ganz Europa werden“, Gewaltdelikten von Ausländern wird besonders viel Platz eingeräumt. Umfragen bestätigen: Zwei Drittel sind für einen Flüchtlingsstopp.

170 Schilling bekommt ein privater Quartiergeber pro Flüchtling am Tag. Die Österreicher verstehen das gerne falsch: Jeder Flüchtling bekomme am Tag 170 Schilling - hart verdientes Steuergeld natürlich. Tatsächlich erhält jeder Flüchtling 300 Schilling Taschengeld - im Monat. Das Bundesbudget für Flüchtlinge wurde dieses Jahr auf 1,2 Milliarden Schilling angehoben. Das sind für jeden Österreicher 40 Groschen am Tag.

„Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, ist das häufigste Argument der Österreicher. Allerdings sind Asylbewerber ohnedies mit einem Arbeitsverbot belegt. Und das, obwohl die Wirtschaftskammer in der Öffentlichkeit behauptet, allein in der Hauptstadt Wien könnten ab sofort ohne weiteres 15.000 Arbeitskräfte eingestellt werden.

Ein neues Argument gegen Flüchtlinge im Land fand am Wochenende der Landeshauptmann von Oberösterreich, Josef Ratzenböck. In einem Brief an das Innenministerium schrieb er: „Es handelt sich hier um Leute aus Ländern, denen man die Abstammung eindeutig ansieht, und man befürchtet dadurch Rückgänge im Rahmen des Fremdenverkehrs.“