Wählen Nebensache?

Die CDU und das Bundestagswahlrecht der Westberliner  ■ K O M M E N T A R

Diese Gleichzeitigkeit macht einen doch stutzig: Da verkündet Oppositionschef Eberhard Diepgen gestern in Berlin, die Frage der Beteiligung der Westberliner an der nächsten Bundestagswahl sei nebensächlich und erledige sich sowieso bald von allein. Zugleich gesteht er aber zu, daß dieser Fall frühestens nächstes Jahr eintreten wird. Wenige Stunden später trifft aus Bonn die Nachricht ein, daß Innenminister Schäuble den Zeitraum für „sehr knapp“ hält, der bis zu einer Änderung des Bundeswahlgesetzes bliebe. Die Berliner könnten dann ja nachwählen, so Schäuble - wann, ließ er ebenso offen wie die Modalitäten für ein solches Verfahren. Ganz abgesehen davon, daß die ganze Angelegenheit nach enger Absprache stinkt, liegt doch ein Verdacht auf der Hand: Helmut Kohl fürchtet jetzt das Votum der Berliner. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag könnten durchaus zum Kippen gebracht werden.

Das Paradoxe dabei: Ganz ohne Rücksicht auf die Wählergunst forderte Diepgen seit Wochen Gesamtberliner Wahlen, aber sofort. Ein Vorhaben, dessen Rechtsgrundlage noch weitaus unklarer ist als die der Bundestagswahl. Um so fadenscheiniger die Begründung, es gebe wichtigere Probleme als die Bundestagswahl. Die gibt es in der Tat, trotzdem kommt dem direkten Wahlrecht ein hoher Symbolwert zu. Oder wie soll es zu begründen sein, daß am Ende dieses Jahres allein die Westberliner sich nicht an Wahlen zu nationalen Parlamenten beteiligt haben dürfen? Dahinter kann nur CDU -Wahltaktik stecken. Und ausgerechnet die Rechtsvorbehalte der Sowjetunion müssen jetzt herhalten - als ob die die CDU je interessiert hätten. In der Tat hat Momper keine konkreten Zusagen der West-Alliierten, allerdings auch keine Absagen. Wenn nicht noch im März aufgrund der „Macht des Faktischen“ ein entsprechender Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird, dürfen die Westberliner der allgemeinen Wahlepidemie nur zugucken. Zu befürchten steht es seit gestern. Nach der bewährten Bonner Devise vom „Aussitzen“...

Kordula Doerfler