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Mißtrauen ist angebracht

■ Louis Malles „Komödie im Mai“

Im Presseheft versichern sich Regisseur und Schauspieler gegenseitig, wie wunderbar die Dreharbeiten gewesen seien, letzten Sommer in Frankreichs Südwesten, eine Atmosphäre der Harmonie, wie Urlaub sei es gewesen. Man merkt es dem Film an. Wie immer, wenn alle sich sympathisch finden, ist Mißtrauen angebracht.

Der Film spielt im Mai 1968. In „La Calaou“, dem herrschaftlichen, etwas heruntergekommenen Weingut, ist die Prinzipalin gestorben. Ihr ältester Sohn Milou (Michel Piccoli), der das Anwesen verwaltet, trommelt die bürgerliche Familie zusammen, zur Trauerfeier und zur Aufteilung des Erbes. Unterdes tosen in Paris die Ereignisse, die mit dem Radio hereingeholt werden. Für die deutsche Version der Komödie im Mai mußten diese Rundfunkberichte allerdings nachsynchronisiert werden, so daß dem Film auch noch das letzte bißchen Authentizität abhanden kommt. Sie war ohnehin nur geliehen.

Der Film ist ungenau. Das gilt schon für die Kostüme. Damals trug man keine weiten lässigen Leinenjacketts, sondern taillierte aus Kunstfaser. Auch ökologische Parolen führte man damals nicht im Mund - das kam erst später und war zum Teil auch gegen den fortschrittsgläubigen Geist von '68 gerichtet. Vor allem aber war die französische Bourgeoisie nicht trotz der sozialen Ungerechtigkeit, für die sie stand, irgendwie nett und duldsam, sondern streng, konventionell, heuchlerisch und böse wie überall. Die Töchter durften nicht ungestraft lesbisch sein und die Söhne nicht ungestraft rebellieren. Gerade ein Drehbuchautor wie Jean-Claude Carriere, der damals mit Bunuel zusammen die französische Bourgeoisie bloßstellte, müßte das eigentlich wissen.

Kann ja sein, daß der Mai '68 ein folgenloser Narrenumzug war, bei dem man die freie Liebe und Haschisch ausprobierte. Aber erstmal muß es wohl etwas gegeben haben, wogegen man sich auflehnte, und daß die Revolte fehlschlug, wird doch auch ein bißchen bitter gewesen sein. Carriere scheut im Presseheft nicht den Vergleich mit Tschechow. Alles ist flüchtig in Komödie im Mai, wie bei Tschechow, aber von der Traurigkeit, die damit verbunden ist, will der Film nichts wissen. Er taucht alles ins sonnige Licht der Heiter -Bedenklichkeit und versetzt es mit dem butterweichen, geschwätzigen Zigeunerjazz des Geigers Stephane Grappelli. Während des ganzen Films bleibt die Leiche der Prinzipalin aufgebahrt - die Totengräber streiken. Etwas ist faul: Die Leiche stinkt nicht.

Im Nachhinein fragt man sich, ob man nicht Louis Malles Ausflüge in die Vergangenheit - Herzflimmern, Lacombe Lucien, Auf Wiedersehen Kinder - nicht deshalb so gemocht hat, weil immer diese Nostaltgie mitgeliefert wird, dieses gerührte und falsche Lachen darüber, daß es damals trotz allem - doch auch schön war.

Thierry Chervel

Komödie im Mai, von Louis Malle, mit Michel Piccoli, Miou -Miou, Dominique Blanc u. A., Kamera: Renato Berta, Musik: Stephane Grappelli, Drehbuch: Jean-Claude Carriere und Louis Malle, Frankreich 1989, 107 Min.

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