Erstmal das Sortiment halbieren

Die Kombinatsentflechtung in der DDR: Rosinenpickerei westlicher Firmen „nicht zu vermeiden“ / Ifa brachte gleich zwei West-Konzerne unters Dach / Konsequenzen für Beschäftigung auch in Vorzeigebranchen / „Die Westunternehmen nehmen keine Rücksicht darauf, daß da 60.000 Leute dranhängen“  ■  Aus Leipzig Dietmar Bartz

Von einer Entflechtung der großen DDR-Kombinate kann bislang noch kaum die Rede sein - von einer neuen Verflechtung mit Unternehmen aus der BRD dagegen sehr. So unterschiedlich die Kombinate in der DDR sind, so unterschiedlich sind auch die Wege, die sie eingeschlagen haben, um Strukturen zu schaffen, die die Entflechtung überhaupt erst möglich machen. Allgemein ist nur eine tatsächliche Kompetenzenverschiebung von der Kombinatsebene zu den Betriebsdirektoren zu bemerken. Das enthebt - mit bislang nur einer einzigen Ausnahme - die Generaldirektoren einstweilen auch der Pflicht, jetzt schon Werkschließungen oder die Aufgabe ganzer Standorte bekanntzugeben. Noch wird allenthalben geprüft, wo die Produktion überhaupt lohnend ist.

Die Ausnahme ist Dieter Voigt, Chef des Ifa-Kombinats Personenkraftwagen in Karl-Marx-Stadt, bei dem 100.000 Arbeitsplätze bedroht sind, wenn die Trabi-Produktion eingestellt wird. Welche der 29 VEBs, die die Plastikautos, den Wartburg und den Transporter Barkas herstellen, aber besonders betroffen sind, ist immer noch nicht recht klar. Noch mehrere Wochen wird es dauern, bis die gemischte Kommission aus VW- und Ifa-Managern darüber einen Überblick gewonnen hat. Immerhin hat es Ifa - aus DDR-Sicht geschafft, gleich zwei Westkonkurrenten unter sein Dach zu bekommen: Auf Kombinatsebene und bei einigen VEBs wird Volkswagen beteiligt, während Opel beim VEB Automobilwerk Eisenach einsteigt, wo der Wartburg produziert wird. Die anderen Betriebsdirektoren müssen jetzt überlegen, welcher der beiden Interessensphären sie sich anschließen. Derweil sind bei Ifa auch die Verhandlungen mit den Zulieferern weit gediehen.

Alles selber produziert

Andere sind noch nicht so weit und mögen deswegen über die Konsequenzen für die Belegschaft noch gar nichts sagen. Dazu gehört das bislang vom Westen stark abgeschottete Kombinat Mikroelektronik mit seinen 60.000 Beschäftigten und 22 VEBs. Es gehört zu den Produzenten, die in einem weiten Bereich alles produzieren mußten, was benötigt wurde - der Import von Produkten und Know-how war im Zuge der Cocom -Bestimmungen verboten. Das führte zugleich dazu, daß sich das Kombinat der besonderen Aufmerksamkeit der alten Regierung erfreute.

Diese Zeiten sind nun vorbei. Das „KME“ hat eine besondere Form gefunden, mit den Westfirmen ins Gespräch zu kommen es hat mit einem hessischen Elektronikgroßhändler ein gemeinsames „internationales Büro für Cooperationen und Joint-ventures“ (IBC) gegründet, an der Vermarktungs-GmbH sind zu je 50 Prozent das KME und der Großhändler Hart beteiligt. Dessen Firma Colortechnik bezog bislang für 50 Millionen DM jährlich KME-Produkte und umgekehrt. Es hatte zudem für die entsprechenden Unternehmensbereiche von Thomson, Philips und der schweizerischen ABB das DDR -Vertriebsmonopol.

Dietrich Mandler, Geschäftsführer des IBC und zuvor Vizegeneraldirektor des KME, hatte keine Bedenken, weil der Partner zugleich die Westkonkurrenz vertritt: Auch bei den von Hart vertretenen Konzernen komme es zu Produktionsüberschneidungen, und eine Bereinigung von uneffektiven Lösungen sei bei KME ohnehin fällig. Mandler ist dabei optimistisch: „Wir sind sicherlich das modernste Kombinat überhaupt. Wir haben jährlich mehr als eine Fabrik gebaut und in Betrieb genommen.“ Ein Viertel der Belegschaft seien Hoch- und Fachschulkader. Und 65 Prozent der Ausrüstung sei jünger als fünf Jahre. Nachrüstungen sind seinen Worten zufolge nur dort nötig, wo die Cocom -Bestimmungen eine Modernisierung verhindert haben.

Schwierig werde es allerdings für die Halbleiterfabriken des Kombinats. „Dafür werden Kooperationspartner notwendig“, sagt Mandler. Der Weltmarkt steckt derzeit in einer solchen Chip-Schwemme, daß die japanischen Hersteller bereits mit Produktionskürzungen begonnen haben, um die Preise stabil zu halten. Mandler: „Wir werden dort für ein, zwei Jahre große Probleme haben.“

Daß etwa die lukrativen Maschinenbaubetriebe oder die Hersteller das Kombinat verlassen und selbständig werden wollten, befürchtet er nicht. Das lasse die Konzentrationstendenz in der Elektronik überhaupt nicht zu. Außerdem garantiere das Kombinat nun erst einmal die kommenden Investitionen und auch einen verbesserten Materialeinkauf.

Die IBC biete aber auch an, aus dem vorhandenen Bestand ganz neue Produktionseinheiten anzubieten, wenn ein Partner dies wünsche. Diese subtilste Form der Rosinenpickerei will er in Kauf nehmen: „Damit müssen wir leben.“ Ohnehin sei kein West-Unternehmen davon zu überzeugen, daß bei Verträgen Rücksicht darauf genommen werden müsse, „daß da am Kombinat 60.000 Leute dranhängen“. Insgesamt werde das KME wohl zur Aktiengesellschaft, während die zugehörigen VEBs zu GmbHs oder wiederum Aktiengesellschaften werden. Wer sich konkret interessiert, mag Mandler noch nicht sagen: „Das wird wohl im Mai bekanntgegeben.“

50.000 Artikel

Ein klares Konzept für eine neue Unternehmensstruktur hat hingegen das Kombinat Elektroapparatewerk (EAW) mit Stammbetrieb in Berlin-Treptow. Das Kombinat wird zur AG, die als Holding über den 18 zugehörigen GmbHs stehen wird, gab Vizegeneraldirektor Wolfgang Hanzig in Leipzig bekannt (siehe Interview).

Ebenso wie das KME hatte auch das EAW quer durch die ganze Breite der Branche zu produzieren - das Sortiment erreicht 50.000 Artikel und soll jetzt erst einmal halbiert werden. Die Artikelvarianten eingerechnet, sollen künftig 40.000 EAW -Produkte durch West-Importe wegfallen, um, so Hanzig zuversichtlich, die Kapazitäten für den lohnenden Großserienbau zu nutzen. Mit der AEG hat er sich bereits über eine Sortimentsbereinigung verständigt und wechselseitige Lieferungen vereinbart. Ähnliche Verhandlungen fänden derzeit mit Mannesmann, Hartmann und Braun sowie Kienzle statt.

Sorgenlos

Ganz unmittelbare Zukunftssogen hat Hanzig nicht für die Herstellung seiner Relais. Die Lieferungen unrentabler Produkte in den RGW-Raum sichern für 1990 und einen Teil des kommenden Jahres einen großen Teil der Beschäftigung.

Danach allerdings wird es ernst: „Wir sind immer noch für die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem Westen und dem RGW-Raum.“ Aufträge aus Polen, Ungarn und der CSSR werden dabei schon in DM abgerechnet, welche künftige GmbH von dem Joint-venture mit AEG profitieren wird, ist noch unklar.