Gleichzeitig ungleichzeitig

■ Erinnerungen von Gregor Gysi

taz: 68 - woran denken Sie?

Gregor Gysi: Also, 68, das war das Jahr meiner persönlichen Maßregelung in der Partei, das war das Jahr der Ereignisse in der CSSR, verbunden mit Hoffnung und dann der Einsicht, daß es so - im Alleingang - in einem sozialistischen Land, solange sich im damaligen Kernland nichts verändert hat, offensichtlich nicht geht. Das war eine Enttäuschung, ließ aber gleichzeitig die Hoffnung aufkommen, daß vieles möglich ist, im Rahmen eines demokratischen Sozialismus, wenn die Vorzeichen dafür günstiger stehen.

Erinnern Sie sich auch noch an die Studentenbewegungen im Westen?

Das war überhaupt das, was mich am meisten frustriert hat im August 1968: Mir wurde klar, daß die Studentenbewegung mit den Prager Ereignissen totgemacht wurde. Das konnten die nicht überstehen, und wenn sie sich noch so sehr wehrten, es wird letztlich doch alles in einen Topf geworfen, was da links kreucht und fleucht, und es wird gesagt: Wenn wir etwas Linkes kriegen, dann ist es so was, wie in Prag. Gegen diesen Vergleich sich zu wehren, ist ungeheuer schwierig, und das war die zweite Tragik dieses Jahres.

Haben Sie auch noch Erinnerungen an Ungarn 1956?

Nicht bewußt. Dichter ist meine Erinnerung, obwohl ich da ja nun noch kleiner war, an die Ereignisse von 1953. Da hab ich Bilder vor Augen, zumal ich das ja nicht in Berlin erlebte. Lauter Leute an einem Polizeirevier, die da alle ganz ordentlich aufgereiht standen, darunter auch ein sehr alter Mann in der ersten Reihe, und eben Polizisten, die sie bewachten. Der alte Mann sah mich die ganze Zeit an, und dieser Blick hat mich bis heute nicht losgelassen.

geo