Dichtung und Wahrheit

■ Wie die 'Bildzeitung‘ den „Rollstuhlfahrer“ Wolfgang Schnur zu retten versuchte

'Bild‘ dichtet - nicht allein die Unwahrheit, sondern auch innere Alliterationen: Modrow - Gysi - Stasi titelten die deutsch-deutschen Brunnenvergifter der Schlagzeilen -Redaktion gestern. Und das satanisch perfekt. Die dritte Verszeile, ergänzt um „Schnur im Rollstuhl“, machte klar, wer den so arg Verleumdeten dorthin gebracht hat: die Staatssicherheit. 'Bild‘ hat recht behalten, bravo. Nur eben anders als die Wiedervereinigungsdramaturgen aus dem Hause Springer es sich vorgestellt hatten. Ein Stück unbewältigter Vergangenheit hat den Vorzeige-Oppositionellen der gesamtdeutschen Christdemokratie von den Beinen geworfen. Diese abgestrittene Stasi-Kollaboration war die spektakuläre Leiche im Keller und nicht, laut Überschrift, Gysis „Goldschatz im SED-Keller“.

Ein perfides Ablenkungsmanöver, das mit dem Bild vom „raffenden kleinen Juden“ spielte. Schade für die 'Bild' -Crew, daß Schnur so frühzeitig das Handtuch warf, hatten sie sich doch in rührseliger Weise in den vergangenen Tagen für den Rollstuhlfahrer aus dem Fenster gehängt und „Lüge, Fälschung, Terror“ geschrien. 'Bild‘ hätte es merken müssen: Nach Schnurs Rückzug in die Krankheit barschelte es bereits sehr. Aber wie soll man, umgeben von so viel journalistischem Unrat, auch den richtigen Riecher behalten?

Die Welt ist schlecht, und niemamd weiß das besser als 'Bild‘. Darum hat die Postille für den Wahlkampf vorsorglich noch etliche Lügen prophezeit, vielleicht war ja Schnurs Eingeständnis auch nur eine. Nicht einmal De Maiziere von der Ost-CDU konnte helfen, den 'Bild‘ kürzlich zu den Vorwürfen gegen Schnur zitierte: „Was dran ist, weiß nur der liebe Gott.“ Auf niemand mehr Verlaß. In Abwandlung einer schmerzlichen Einsicht der einstmals gesamtdeutschen Linken sollte das Blatt heute eigentlich titeln: „Wer hat 'Bild‘ verraten? Allianzdemokraten“

Thomas Worm