„Frauenfrage ist die Zukunftsfrage“

■ Interview mit dem freischgewählten Geschäftsführer der Angestelltenkammer, Eberhard Fehrmann

Mit der denkbar knappsten Mehrheit wurde Eberhard Fehrmann am Mittwoch abend im zweiten Wahlgang zum neuen Geschäftsführer der Angestelltenkammer gewählt. Lediglich 13 von 25 Stimmberechtigten wählten den IG Metall-Mann aus Frankfurt. In den letzen Wochen war es zu heftigen Auseinandersteungen um die Besetzung des Postens gekommen, da sich auch gleichqualifizierte Frauen um den Posten beworben hatten.

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taz: Welche Qualifikation muß ein Mann mitbringen, der hochqualifizierte BewerberInnen aus dem Rennen wirft?

Fehrmann: Ich war ganz wesentlich an programmatischen Diskussionen im DGB beteiligt. Unter meiner Federführung ist das angestelltenpolitische Arbeitspapier der IG Metall entstanden. Ich kenne mich auch im Beratungsgeschäft aus. Ich bin Berater in tarif-und arbeitsrechtlichen Fragen des Gesamtbetriebsrates der IBM

Deutschland. Ich habe an der Entwicklung der Konzeption von Technologieberatungsstellen mitgearbeitet. Ich kann also auf Erfahrungen zurückgreifen, die auch in der Kammer für die zukünftige Arbeit gefordert werden.

Wo sind ihrer Meinung nach bei der Angestelltenkammer neue Akzente notwendig?

Zwei Punkte sind mir sehr wichtig. Zum einen gibt es keinen Zweifel, die Diskussion um die Frage Geschäftsführer oder Geschäftsführerin ist eigentlich nur die Spitze eines viel tiefer liegenden Problems. Die Frauenfrage ist die politische Zukunfts-Herausforderung. Die Kammer wird sich hier vielleicht sehr viel stärker profilieren können und müssen. Wir müssen der Frauenpolitik sichtbarer Raum geben. Der Anspruch und viele gute Ansätze sind da. Das muß jetzt für die Zielgruppe der weiblichen Angestellten klarer werden.

Der andere Bereich: Die Gewerkschaften selbst haben eine große Distanz zu Arbeitnehmern, die in der Hierarchie eine gewisse Funktion haben. Und die Führungskräfte haben ihrerseits ja auch nicht viel mit den Gewerkschaften am Hut. Hier sehe ich auch für die Zukunft der Gewerkschaftspolitik eine ganz wichtige Rolle der Kammer, nämlich den bremischen Führungskräften ein kritisch-demokratisches Forum anzubieten.

Seit der DGB in der Angestelltenkammer die Mehrheit hat, ist

in der Öffentlichkeit bisweilen der Eindruck entstanden, als solle die Angestelltenkammer zu einer finanziell gut ausgestatteten Dependace des DGB werden. Wie stellen Sie sich das künftige Verhältnis zwischen Angestelltenkammer und DGB vor?

Ich bin ganz sicher, daß die Vertreter des DGB in der Vollversammlung und im Vorstand wissen: Die Kammer hat eine gesetzliche Grundlage, die nicht beliebig interpretierbar ist. Die Kammer hat vor zwei Jahren eine neue Mehrheit bekommen. Diese Mehrheit muß noch lernen, mit der Angestelltenkammer umzugehen. Umgekehrt sind die Beschäftigten mit einer neuen politischen Situation in der Kammmer konfrontiert. Auch die müssen lernen, damit umzugehen. Vieles, was in den letzten Monaten passiert ist, verstehe ich auch daraus, daß beide Gruppierungen noch nicht ausreichend Verständnis für einander entwickelt haben. Ich glaube, daß der DGB erkennen muß, daß eine starke Kammer neue Akzente setzen kann, die auch für die Gewerkschaften von großer Bedeutung sind.

Bisweilen wird in der Öffentlichkeit die Debatte gepusht, Angestellten- und Arbeiterkammer zusammenzulegen. Wie ist da ihre Position?

Ich muß denjenigen, die so diskutieren, folgendes sagen: Was wir feststellen, auch in den Gewerkschaften, ist ja nicht, daß sich die Lebenssituationen der Menschen vereinheitlichen werden. Wir ha

ben es mit vielfältigen Strukturen zu tun. Und: Ich warne davor, zu glauben, mit immer größeren Institutionen könne man die Vielfalt der Bedürfnisse der Menschen angemessen aufgreifen. Da kann auch ein Entfremdungsprozeß zwischen Politik und den Bedürfnissen der Menschen stattfinden. Deshalb sage ich: Die Gewerkschaften haben es in den letzten 40 Jahren zu nicht mehr als 20 Prozent Mitgliedschaft bei den Angestellten gebracht. Das ist ein Scheitern in der Angestelltenpolitik. Deshalb sage ich: Die Kammer kann in ihrer eigenständigen Funktion sehr viel näher und flexibler im Angestelltenbereich reagieren, als dies eine zusammengelegte Institution Arbeitnehmerkammer könnte.

Bremen, wird gesagt, ist ein Dorf mit Straßenbahn. Wenn man über den Marktplatz geht, trifft man mindestens zwei Bekannte, und bisweilen entsteht der Eindruck, daß Politik von solchen Gesprächen mitbestimmt wird. Wie fühlen Sie sich denn, wenn Sie über den Marktplatz gehen und keinen kennen?

Ich bin ganz sicher, daß ich ganz schnell diejenigen kennenlerne, die ich dann auf dem Marktplatz wiedertreffe. Das Leben wäre ja auch langweilig, wenn man alles planbar und kalkulierbar macht. Dieser Schritt ist für mich die Möglichkeit, neue Herausforderungen anzunehmen, wo du nicht genau weißt, wo das enden könnte.

Fragen: Holger Bruns-Kösters