HELLER WAHNSINN

■ „Les maitres fous“ von Jean Rouch im Haus der Kulturen der Welt

„Sie sind zu weit gegangen!“ empört sich der Ethnologe Marcel Griaule und verließ den Kinosaal des Musee de l'Homme. Mit ihm gingen einige Afrikaner, und so begann mit der Uraufführung von Jean Rouchs Les maitres fous die Karriere eines ethnographischen Skandalfilms. Tierschutzverbände, islamische Priester und die damalige Regierung von Ghana wollten den Film zurückziehen, ihn verbieten oder sogar vernichten.

Rouch ordnete Les maitres fous in seinem umfangreichen Werk dem urbanen soziologischen Film zu. Er entstand in den fünfziger Jahren, als Rouch sich für die Wanderarbeiter aus dem Nigergebiet interessierte. Zusammen mit seinen Freunden Lam und Damoure folgt er ihnen in die Großstädte der Nachbarstaaten. Als Rouch 1954 in Accra seinen Film La chasse a l'hippopotame zeigte, sprachen ihn im Anschluß daran einige Priester der Hauka (einer mittlerweile aufgelösten Sekte) an. Ob er nicht auch einen Film über eines ihrer Rituale drehen könne? Was könnte einem Ethnographen Schöneres passieren?

Wenige Tage später ging's los, mit dem Auto aus der Stadt raus, in ein abgelegenes Bergdorf, dem Haupttreffpunkt der Sekte. „Hauka“ bedeutet in der Mythologie der Songhay soviel wie eine konzentrierte Darstellung der Kolonialmächte. Sie erscheinen als Götter, die die alten, animistischen Götter des Windes oder des Wasser verdrängt haben. Rouchs Film dokumentiert in dem ihm eigenen Stil (Handkamera, immer mitten im Geschehen usw.) ein Ritual, bei dem die Gläubigen in Trance fallen und von den aggressiven, neuen Göttern besessen werden. Für einen Nachmittag sind die Hauka -Mitglieder der Admiral, der Lokomotivführer, der Kolonialbeamte oder die Madame le Gouverneur. Zum Auftakt wird ein Huhn geschlachtet, später einem lebenden Hund die Kehle durchgebissen, dann streitet man sich um das beste Stück Fleisch. Die Menschen laufen taumelig im Paradeschritt über den staubigen Platz, haben Schaum vorm Mund, zupfen neurotisch an ihren Kleidern und Hüten westlicher Herkunft und können nicht aufhören, hin-und-her und hin-und-her zu „fahren“, wie die Lokomotive. Rouch erinnert sich: “... ich habe mir, während des Drehens, zum ersten Mal vorstellen können, daß ich auch dann weiterfilmen würde, wenn diese Leute ein Menschenopfer vollzögen.

Mit Wucht schleudern die Bilder dieser Zeremonie dem westlichen Betrachter ein Zerrbild seines „zivilisierten“ Daseins entgegen. Grotesk, manchmal sehr witzig, dann wieder brutal. Subkutan empfängt man die Prophezeiung vom Ende unserer weißen Kultur. Diese Vision inspirierte Jean Genet, nachdem er Les maitres fous gesehen hatte, das Theaterstück Les negres zu schreiben; Peter Brook zeigte den Film seinen Schauspielern und bat sie, die Hauka als Vorbilder für ihre Rollen in Marat/Sade zu nehmen...

Im Gegensatz dazu tat sich die wirklichkeitsverhaftete Dokumentarfilmszene zunächst sehr schwer mit der Rezeption. Sogar Jean Rouch scheint am Ende des Films etwas erschrocken gewesen zu sein über die Radikalität dieses Rituals. Deswegen suchte er gleich am nächsten Tag, einem Montag also, die Hauka-Anhänger an ihren Arbeitsplätzen auf und filmte sie dort. Im Kommentar versucht er mit dieser Schlußsequenz zu erklären, daß das Ritual als eine Art kollektiver Therapie zu verstehen sei, mit der die Wanderarbeiter ihr mieses Leben unter der Kolonialherrschaft besser ertragen könnten... Mittlerweile hat er sich von diesem Ende distanziert. Im Zeitalter der Ethnophilie würde jedenfalls keiner mehr behaupten, daß mit Les maitres fous das Klischee vom wilden Urwaldneger verfestigt wird. Der Film hat von Freunden und Kennern des ethnographischen Films einen festen Platz zugewiesen bekommen, ganz oben, bei den besten.

Dorothee Wenner

„Les maitres fous“ (OF, 30 min.) von Jean Rouch zusammen mit „Mami Wata - Der Geist der weißen Frau“ von Wendl / Weise (BRD 1988), am Sonntag, 18.März, um 16.30 Uhr, im Haus der Kulturen der Welt.