„Die Hemmschwelle sinkt“

■ Interview mit Peter Finger von der „Antirassistischen Initiative“ zum Tod des pakistanischen Wissenschaftlers Mahmud Azhar

taz: Ist der Angriff auf Mahmud Azhar ein Einzelfall?

Finger: Sicherlich nicht. Man muß sich einmal das letzte Jahr ansehen und einige Daten in Erinnerung rufen: Da waren zum einen die Berliner Wahlen, als die „Republikaner“ ins Abgeordnetenhaus gewählt wurden; dann der 20. April; als drittes die CDU/REP-Kampagne gegen das Ausländerwahlrecht und schließlich die Öffnung der Mauer am 9. November. Unsere Einschätzung ist, daß von Stufe zu Stufe die Hemmschwelle vieler Leute immer kleiner geworden ist, verbal, aber auch durch körperliche Angriffe gegen Angehörige ethnischer Minderheiten vorzugehen.

Das bekommt ihr auch in iurer Beratung zu spüren ?

Ja. Wobei man dazu sagen muß, daß es das auch früher gegeben hat. Nur wurden damals Leute, die das thematisiert haben, wie zum Beispiel die ehemalige AL-Abgeordnete Sevim Celebi, von der CDU und auch von Frau John als linksradikale Sektierer bezeichnet. Frau John wurde nicht müde zu betonen, daß es sich um Einzelfälle handele. Es gebe keine Ausländerfeindlichkeit - das Wort Rassismus nimmt man ja ohnehin nicht in den Mund. Das hat sich jetzt geändert, nachdem man einen neuen Schuldigen ausgemacht und nun den Rassismus in der DDR offiziell entdeckt hat.

Den gibt es aber doch unbestritten...

Man übersieht aber immer, daß es in der DDR seit Jahrzehnten Rassismus gegen Polen gegeben - und das wurde durch die DDR-Regierung geschürt. Was jetzt aus der DDR „rüberschwappt“, ist schockierend. Vor allem die Offenheit, mit der Rassismus ausgedrückt wird. Das hat hier Auswirkungen auf diejenigen, die das bisher nur im stillen Kämmerlein gedacht haben. Die fühlen sich jetzt bestätigt und auch zu neuen Aktivitäten herausgefordert.

Welche Gegenstrategien gibt es?

Man muß offensiv eine Politik der Gleichberechtigung von ethnischen Minderheiten betreiben. Was hier geschieht, ist das Gegenteil. In den Koalitionsverhandlungen ist zwar die Rede von einer Änderung traditioneller Ausländerpolitik in Form einer Ausländerbeauftragten. Das hieße ganz gezielt Ausländerpolitik als Minderheitenpolitik in den Bereichen Arbeitsmarkt, Wohnungsbau etc. zu sehen. Solange das nicht passiert, wird das Ganze weiter eskalieren. Wenn jetzt der Reiseverkehr mit Ungarn und der CSSR dazukommt, zudem die Rumäniendeutschen hierherkommen, dann wird Berlin eines der multiethnischen Zentren Europas. Und da gibt es überhaupt keine Vorstellungen, wie das aussehen soll. Zu diesem Thema hat Herr Momper auf seiner Pressekonferenz zur rot-grünen Koalition kein Wort gesagt.

Interview: Andrea Böhm