Kein Argument für Atomenergie-betr.: "Ausstieg aus der Atomenergie - leichter als gedacht?", "Energie-Konsens ante portas", taz vom 6.3.90, "Ich halte den Sofortausstieg für unverantwortlich", taz vom 8.3.90

Betr.: „Ausstieg aus der Atomenergie - leichter als gedacht?“, „Energie-Konsens ante portas“, taz vom 6.3.90, „Ich halte den Sofortausstieg für unverantwortlich“, taz vom 8.3.90

Aus Meyer-Abich spricht ganz der Theoretiker. Als ließe sich die eine Gefahr durch die andere bannen - der eine Wahnsinn durch den anderen aufhalten. Meyer-Abich vergißt, daß die Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe Jahrzehnte brauchen, um zu greifen - der Super-GAU bedroht uns aber stündlich.

Deshalb kann es jetzt gar nicht darum gehen, über Fristen für den Ausstieg zu theoretisieren, wichtig ist ein Soforteinstieg sowohl in den Atomausstieg als auch in eine alternative Energiepolitik (Sparen, regenerative Energiequellen, Rekommunalisierung etc.). Dazu müssen wir schleunigst den nötigen politischen Druck entwickeln. Entgegen allen Lippenbekenntnissen läuft da nämlich bundesweit so gut wie nix; mit neuen Filtern auf die alten Kraftwerke kann's ja wohl nicht getan sein.

Die Landesregierung NRW zum Beispiel, die sich neuerdings den landesweiten Atomausstieg zugute hält, hat an Konzepten oder gar konkreten Ansätzen für eine andere Energiepolitik noch überhaupt nichts vorzuweisen. Der Ökofonds NRW hat daher beschlossen, gezielt Initiativen zu unterstützen, die kommunale oder regionale Energiekonzepte entwerfen und versuchen politisch durchzusetzen.

Arnd Grewer, Ökofonds der Grünen NRW

Lieber Herr Meyer-Abich,

als ich letzten Dienstag den kurzen taz-Bericht über Ihre neuen Äußerungen zur Atomenergie las, gehörte ich, das muß ich schon gestehen, durchaus auch zu denen, denen das „fast den Atem verschlug“. Aber immerhin nur fast, denn ich war sicher, daß Sie das nicht so einfach stehen lassen würden. Ihr gestriges taz-Interview entsprach dann auch etwa dem, was Ihre nicht ganz oberflächlichen „richtigen Freunde“ (zu denen ich mich ja schon seit langem zähle) erwarten konnten und wohl auch erwartet haben.

Nur: Meinen Sie nicht auch, daß das Wort „unverantwortlich“ so gar nicht zu Ihrem „diskursiven“ Politikstil paßt? Dieses schlimme Wort, von den „falschen Freunden“ schon bis zum Überdruß mißbraucht, sollten wir meines Erachtens am besten denen allein überlassen, und in der Wiederholung im Interview mit den richtigen Freunden finde ich es doppelt unangebracht - fast möchte ich sagen „unverantwortlich“.

Es fällt mir aber auch nicht leicht, Ihrer Argumentation zu folgen, wonach wir erst jetzt vor einer erschwerten Situation stünden, in der wir auch aus den fossilen Energieträgern aussteigen müssen. Gerade Sie haben doch (wie übrigens auch ich) genau diese Situation mit ihrer ganzen Bedeutung schon seit Jahrzehnten sehr deutlich wahrgenommen. Im Frieden mit der Natur (Kap. 2.1) haben Sie dann, Einsparungen vorausgesetzt, der Klimagrenze „keine praktische Bedeutung“ mehr zuerkannt und kehren nun, gewiß mit guten Gründen, zur Anfangsüberzeugung zurück.

So weit - so gut. Aber wäre es nicht besser, die Rückkehr in einer Form zu vollziehen, die die Gesinnungsfreunde verstehen und nachvollziehen können? Ich vermag nicht ohne weiteres einzusehen, daß bei einem Sofortausstieg aus der Atomenergie die CO2-Emissionen nach oben gingen. Das ließe sich doch allemal vermeiden und sogar umkehren, wenn nur die Einsparungen entsprechend schneller und größer vorgenommen werden. Und wenn dabei auch noch die (bisher tabuisierte) Komfortverlustgrenze fiele (was konsequente Atomgegner gewiß nicht scheuen) so würde das auch von den von uns betrogenen Menschen der armen Länder besser verstanden (und auch tatsächlich besser sein) als die (wenn auch noch so eingeschränkte) Fortführung der Substitution des CO2-Übels durch das Atomübel. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Atomgemeinde doch gewiß jede gewährte Pause zur weiteren Konsolidierung zu nutzen versteht.

Für die Antiatomgemeinde aber, und nicht nur für sie (beziehungsweise uns) würde ein großer Schaden entstehen, würden Hoffnungsträger wie Sie, lieber Herr Meyer-Abich, künftig nur noch von den falschen Freunden (falsch) verstanden werden. Daß Sie es nicht so weit kommen lassen, das ist meine Hoffnung - und meine Bitte.

Prof.Dr.Günter Axt, Karlsruhe

Es ist geradezu erschreckend, wie Prof.Meyer-Abich, dem als Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre wesentlich bessere Informationen zur Verfügung stehen, als dem Durchschnitt der Bevölkerung, der allgemeinen Tendenz erliegt, die CO2-Diskussion nur auf die Kohle und nur auf die Elektrizitätserzeugung zu reduzieren. Diese verbreitete Tendenz wird von Industrie und Elektrizitätswirtschaft auf breiter Front gestützt. In entsprechenden Artikeln und Publikationen wird dann auch nur über die Kohle geredet, genaugenommen nur über die CO2 -Emissionen aus Steinkohle, die es zu reduzieren gelte.

Eine seriöse Diskussion über den Treibhauseffekt darf sich dagegen nicht auf die Kohle beschränken. Selten wird dargestellt, daß die Hälfte des Treibhauseffektes auf erheblich klimawirksamere Treibhausgase wie FCKW, Methan und Stickstoffoxide zurückzuführen ist. Selbst bei den CO2 -Emissionen aus fossilen Energieträgern stammt der größte Teil nicht aus der Kohle, sondern aus der Verbrennung von Mineralöl. Dies wird fast immer unterschlagen.

Das das CO2-Problem mit Atomenergie nicht in den Griff zu bekommen ist, ist den Betreibern und Herrstellern von Atomkraftwerken wohl bekannt. Es ist deshalb richtig, wenn gesagt wird, ihnen gehe es nur um „Bestandsschutz“. Den Teil der Energieerzeugung, der sich nach klassischen Rechnungen für sie als profitabler erweist, beanspruchen sie für die Atomenergie.

„Bestandsschutz“ beanspruchen auch die Industriezweige des Verkehrssektors, deren Produkte den hohen Anteil der CO2 -Emissionen aus Mineralöl verursachen. Die Automobilindustrie wird nicht müde, die Verbrauchsminderung pro Leistungseinheit von PKW und LKW zu preisen. Weniger gern wird darüber geredet, daß steigende Zulassungszahlen, steigende Kilometerleistungen und stärkere Motoren diese Einsparergebnisse wieder zunichte machen.

Gerade im Verkehrsbereich ließe sich mit steuerlichen Maßnahmen und gesetzlichen Auflagen, zum Beispiel Tempo 100, sofort eine CO2-Reduzierung erreichen. Doch das ist politisch nicht erwünscht.

Von den herrschenden Kreisen erwünscht ist statt dessen, die Akzeptanz der Atomenergie mit dem Klimaargument zu erhöhen. Hier lassen sich für die Elektrizitätswirtschaft und Anlagenbauer noch saftige Gewinne einfahren; das soll auch in Zukunft so sein. Mit dem Klimaargument und der Reduzierung der Diskussion auf die Kohle, womit wie schon gesagt, nur die heimische Steinkohle gemeint ist, läßt sich auch elegant für die E-Wirtschaft der Ausstieg aus der Verstromung heimischer Steinkohle, Stichwort Jahrhundertvertrag, rechtfertigen. Mit der heimischen Steinkohle läßt sich kein hoher Gewinn erwirtschaften, weshalb ausschließlich dieser Bereich im Rahmen der CO2 -Diskussion zur Disposition gestellt wird. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, wie der größte Braunkohlenverstromer der Bundesrepublik, die RWE es bisher geschafft hat, die Braunkohle trotz der gegenüber der Steinkohle noch höheren spezifischen CO2-Emissionen aus der Diskussion um den Treibhauseffekt herauszuhalten. Das ist kein Zufall, sondern hängt ganz einfach mit den hohen Gewinnen zusammen, die RWE in der Braunkohleverstromung erwirtschaftet. Nach herrschender Ansicht ist Braunkohlenutzung nur in der DDR unverantwortlich. (...)

Wolfang Kühr, Die Grünen BAG-Energie, Bonn

(...) Mir erscheint am bedeutungsvollsten und schwerwiegendsten die Feststellung zu sein, daß das Atomgesetz die Möglichkeit für den legalen Rückzug aus der Atomenergie bietet. Bisher hat nämlich die SPD den Standpunkt vertreten, die nach ihrer Ansicht existenzbedrohende und nicht verantwortbare Atomtechnologie werde aufgrund des Atomgesetzes rechtmäßig betrieben. Dem „Aus“ für Atomkraftwerke dürfte daher in den Ländern mit SPD -Regierung nichts mehr im Wege stehen. Die Juristen haben nämlich auf ihrer Tagung die Verantwortung für den Betrieb von Atomkraftwerken den bei den Ländern angesiedelten atomrechtlichen Behörden zugewiesen. Die Behörden hätten auch bei der Überwachung der laufenden Atomanlagen die Risiken zu ermitteln und zu bewerten.

Angesichts des Risikos der Kernschmelzkatastrophe sollte man meinen, daß der Widerruf von Betriebsgenehmigungen sozialdemokratischen Behörden, keine Schwierigkeiten bereitet. Schließlich ist die Kernschmelzkatastrophe nicht beherrschbar, und es gibt keine sicherheitstechnischen Möglichkeiten, sie auszuschließen. (...) Das ist der Grund, warum die SPD das Kernschmelzrisiko als existenzbedrohend und nicht verantwortbar bezeichnet. Auf die während der Fachtagung aufgeworfene Fragen: „Wie sicher ist 'sicher genug‘?“, kann es daher nur eine Antwort geben. Sie lautet: „Nur mit der Stilllegung eines Atomkraftwerkes kann das Kernschmelzrisiko ausgeschlossen - also die erforderliche Sicherheit erreicht werden.“ Das heißt, die Bewertung, die die SPD-Behörden verpflichten müßte, Betriebsgenehmigungen für Atomkraftwerke zu widerrufen, liegt vor. Der den Behörden rechtlich zugewiesene Handlungsspielraum, den die Juristen aus dem Atomgesetz ableiten, darf nicht willkürlich genutzt werden, sondern verlangt nach Ausfüllung durch pflichtgemäßes Ermessen, also die Stillegung.

Andernfalls hätten die in Kiel vorgetragenen Rechtsmeinungen eine gefährliche Konsequenz. Sie würde darin bestehen, daß der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke zu einer Auslegung führt, nach der die Behörden die Anlagen als sicher genug bewerten. Aus dem „sicher genug“ wird dann in der öffentlichen Diskussion das vom Bundesumweltminister so viel zitierte „sichere deutsche Atomkraftwerk“. Die Bevölkerung wird damit in die Irre geführt, denn sie glaubt ja, daß in einem „sicheren Atomkraftwerk“ die Kernschmelzkatastrophe nicht möglich sei. Bundesumweltminister Töpfer bezeichnet aber die Atomkraftwerke als sicher in Kenntnis der Tatsache, daß ihr Betrieb unvermeidbar mit dem Risiko der Kernschmelzkatastrophe verbunden ist.

Ich befürchte daher, daß die in Kiel vertretenen Rechtsauffassungen nicht nur als Argumente für den Ausstieg aus der Atomenergie nützlich sind, sondern auch der Festigung der Position der Atomindustrie dienen können und damit dem Neubau von Atomkraftwerken den Weg bereiten. Jetzt sind Sozialdemokraten, die Grünen und Atomkraftgegner gefragt. Sie müssen die atomkritische Öffentlichkeit davon überzeugen, daß die atomrechtlichen Behörden verpflichtet sind, die Betriebsgenehmigungen für Atomkraftwerke zu widerrufen. (...) Für unseren Rechtsanspruch auf Schutz vor Bedrohung durch die Kernschmelzkatastrophe, der die Politiker zur Stillegung verpflichtet, müssen wir immer wieder von Neuem kämpfen.

Traute Kirsch, Beverungen