„Die Sowjetunion mußte begeistert sein“

In den Betrieben des Kombinats RFT Nachrichtentechnik haben künftig vor allem SEL, Siemens und Philips das Sagen - die Interessensphären sind bereits weitgehend aufgeteilt / Zentrale Einheiten und gute Verbindungen in die UdSSR lassen auch die Kombinatsleitung auf eine eigene Zukunft hoffen  ■  Aus Leipzig Dietmar Bartz

„Systeme, die verbinden“, ist der Firmenslogan des Kombinats RFT Nachrichtenelektronik aus (Ost-)Berlin. „Wir verbinden Systeme“, wirbt SEL aus Stuttgart allenthalben und auch auf der Leipziger Messe. Die Ähnlichkeit der beiden Sprüche mag Zufall sein, die beiden Firmen haben jedoch zusammengefunden. Die über Alcatel zur französischen CGE -Gruppe gehörige Standard Elektrik Lorenz und Betriebe des volkseigenen Konzern entwickeln und produzieren demnächst gemeinsam digitale Vermittlungsstellen und Telefon-Netze.

Dies ist nur der Anfang - kombinatsintern sind die 18 Mitglieds-VEBs bereits in unterschiedlichen Interessenspähren aufgeteilt. So gehören etwa die VEBs Nachrichtenelektronik Arnstadt und Stern-Radio Rochlitz zu den vier SEL-nahen Betrieben, sechs Betriebe, allen voran die Nachrichtenelektronik Greifswald, gehen an Siemens, und drei oder vier VEBs, darunter das Fernmeldewerk Bautzen, landen bei der Hamburger Philips-Tochter PKI. Die anderen taktieren noch.

Grundsätzlich, hat Jürgen Wittig, der Leiter der Marktforschungsabteilung des Kombinats beobachtet, verfolgen die großen Konzerne zwei unterschiedliche Strategien. Die eine ist, quasi auf der oberen Ebene an das Kombinat heranzutreten und auch die zentralen Einheiten, neben dem Vertrieb und den Service-Einrichtungen, vor allem das Zentrum für Forschung und Technologie (ZFT) weiter zu nutzen, das der Kombinatsleitung als „Faustpfand“ (Wittig) für die weitere Kombinatszugehörigkeit gilt. „Das ist der Grund, warum die beiden Konzerne SEL und Philips praktisch ein 'kleineres Kombinat‘ ausmachen“, schätzt er. Dies gilt auch für die Einzelbetriebe, die besonders stark durch „innere Kooperationen“ im Kombinat verflochten sind. Die andere Strategie zielt direkt auf einzelne VEBs: „Die Firma Siemens hat von unten her in unsere Betriebe eingewirkt und von Anfang an auf das Zentrum verzichtet.“

3,2 Milliarden Mark setzt das Kombinat jährlich um, 1,2 Millionen davon gehen ins Ausland, davon mehr als 700 Millionen Mark in die Sowjetunion. Auf dem dortigen Sektor für Telefonnetze sind die Kombinatsbetriebe - vor allem die, die nun mit SEL zusammenarbeiten - mit bislang sechs Millionen Anrufeinheiten quer durch alle Generationen der Vermittlungstechnik ausgesprochen stark präsent.

Und weil es nicht damit getan ist, künftig die SEL-Systeme billig in der DDR zusammenzubauen, sondern eine Vielzahl von Anpassungsentwicklungen für die jetzt dort installierten Systeme zu liefern, dürften nicht nur die Entwickler in den einzelnen VEBs, sondern auch die rund 1.000 Fachkräfte im ZFT noch auf unabsehbare Zeit genug zu tun haben. Zu Entlassungen wird es auch im Kombinat Nachrichtenelektronik kommen, ist sich Wittig sicher: „Die Marktwirtschaft wird erzwingen, daß sich diejenigen von den 37.000 Beschäftigten, die sich dem Leistungsprinzip nicht stellen, aus dem Verband ausscheiden.“

1.000 Beschäftigte sind zwischen August und der Jahreswende in die Bundesrepublik gegangen; seither sei praktisch keine Abwanderung mehr zu bemerken gewesen. Zahlen über die Entlassungen in Zukunft werden selbstverständlich noch nicht genannt, das Ziel sei, möglichst allen zu neuen Startbedingungen zu verhelfen. „Das wird aber auch von Ihren Konzernen abhängen. Wir konnten ja bei unseren Besuchen sehen, wie sozial oder unsozial die einzelnen Unternehmen ihre Leute behandeln, wo Versprechen gegenüber der Belegschaft nicht eingehalten wurden.“ Und auch Rentenansprüche gegenüber einzelne Westfirmen noch aus der Vor- und Kriegszeit seien ganz unterschiedlich behandelt worden. Wittig will allerdings keinesfalls bestätigen, daß der Siemens-Konzern dabei eine besonders unrühmliche Rolle gespielt haben soll.

Wie in fast allen Kombinaten der DDR wird auch bei den Nachrichtenelektronikern darüber nachgedacht, welche Produkte zukünftig nicht mehr hergestellt werden. „Aber bei uns gibt es nicht zu viele Leute und zuwenig Arbeit“, sagt Wittig eindringlich und weist einen „Gesundschrumpfungsprozeß“ von sich. Eine Vielzahl neuer Kommunikationstechniken werde demnächst auch in der DDR zu vermarkten sein: Satelliten-Fernsehen, Verkabelung, Breitband-Kommunikation, Datenfernübertragung und neue Generationen von Endgeräten fallen ihm auf Anhieb ein.

„Was wir nicht geschafft haben, ist, unsere Menschen zur Leistungsbereitschaft zu veranlassen. Und die ziemlich großen Märkte, die wir besitzen, sind beim Angebot neuer Erzeugnisse sehr aufnahmefähig.“ Zwar sagt Wittig auch: „Ich muß auf Ihre Märkte. Das sind Garantien, die mir diese Firmen beschaffen müssen, mit denen wir zusammenarbeiten, von der Rücklieferung in die Bundesrepublik bis zur reinen Lohnarbeit.“ Aber auch für Wittig gelten die bisherigen Aufträge aus der UdSSR als eine Art Polster für zumindest ein langsames Auslaufen der zuweilen etwas urtümlichen Produkte.

Mit seinen sowjetischen Partnerbetrieben hat sich das Kombinat verständigt, bevor die Verträge mit SEL unterschrieben wurden - haben sie sich nicht ausgebootet gefühlt? „In der Sowjetunion gibt es einen Bedarf von vier bis fünf Millionen neuen Anrufeinheiten jährlich. Deswegen mußten sie begeistert sein. Zugleich sind die Westmärkte gesättigt; Zuwachsraten wird es künftig vor allem im Osten geben“, urteilt Wittig. Zudem erhalten die Kombinate ab 1991 für ihre Lieferungen in die UdSSR ebenfalls harte Devisen. Die Preise müssen aber noch ganz neu ausgehandelt werden. „Die haben uns das Erdgas zu teuer verkauft, und wir ihnen unsere Produkte“, plaudert ein Standmann des Kombinats.