Mit Galileo für die verfolgten Kurden gestritten

Türkische Regierung brachte den renommierten Sozialwissenschaftler Ismail Besikci erneut hinter Gitter  ■ P O R T R A I T

Die schreckliche Befürchtung ist Wirklichkeit geworden. Ismail Besikci, der einzige über Kurdistan forschende türkische Sozialwissenschaftler, ist wieder hinter Gittern. Es war abzusehen. Allein der Titel des Buches, der wenige Wochen zuvor im Istanbuler Alan Verlag erschien, ließ Böses erahnen: Internationales Kolonialland Kurdistan. In einem Staat, der die kurdische Minderheit leugnet, der die kurdische Sprache per Gesetz verbietet, der das Wort „Kurden“ und „Kurdistan“ unter Strafe stellt, wird ein solches Buch veröffentlicht. Es ist das erste Buch in einem türkischen Verlag, das „Kurdistan“ im Titel führt.

Bei dem Ruf, den der Soziologe Besikci genießt, wäre eine Startauflage von 100.000 Exemplaren angemessen gewesen. Doch nur 3.000 wurden gedruckt. Eben weil in der Türkei ganze Regimenter von Staatsanwälten, Richtern und Polizisten damit beschäftigt sind, das gedruckte Wort zu verfolgen. Die feuchten Keller des Justizgebäudes mit seinen Ratten und Abwässern sind die endgültige Bestimmung der Bücher. Besikcis Buch entging diesem Schicksal. Binnen weniger Stunden war das Buch in den Buchläden ausverkauft.

Das Staatssicherheitsgericht Istanbul stellte Haftbefehl aus. Bis zu 15 Jahren Gefängnis fordert der Staatsanwalt, wegen „Propaganda in der Absicht, die Nationalgefühle zu zerstören oder zu schwächen“. Der Sozialwissenschaftler Besikci ist in der Türkei ein Symbol. Der Staat brandmarkt den Soziologen seit Jahrzehnten als „Vaterlandsverräter“, innerhalb der kurdischen Minderheit wird er abgöttisch verehrt.

Dabei ist der ehemalige Dozent an der Fakultät für Politikwissenschaften an der Universität Ankara das Gegenteil eines politischen Märtyrers. Allein seine wissenschaftliche Tätigkeit zur Gesellschaftsstruktur Kurdistans, die mit seiner Dissertation über die „Stammesstrukturen der nomadischen Alikan“ im Jahr 1967 ihren Anfang nahm, wurde dem gebürtigen Türken zum Verhängnis. Wegen Veröffentlichungen wird er nach Militärintervention 1971 zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Generalamnesie 1974 freigelassen, setzt er seine Publikationstätigkeit fort. 1979 wurde er wegen eines Buchs zu Gefängnis verurteilt. Seine Freilassung im April 1981 währt nur wenige Wochen. Wegen eines in der Gefängniszelle beschlagnahmten privaten Briefs, den Besikci an die schweizerische PEN-Club-Vorsitzende Bolanger richtete, wird er vor einem Kriegsgericht abermals zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Zuletzt wurde Besikci, der Dutzende türkische Kerker von innen her kennt, im Mai 1987 aus dem Gefängnis entlassen.

Fassungslos fragt ihn einmal ein Richter: „Sie sind doch in Corum geboren. Ihre Eltern sind Türken. Warum beschäftigen Sie sich mit solcherlei?“ Besikci antwortet mit stundenlangen Ausführungen zur Wissenschaftsmethodik. Er führt Galileo an.

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