Gutes Kabarett im Börsen-Prozeß

■ Der „Anschlag“ auf die Frankfurter Börse provoziert im Gerichtssaal erstaunliche Auftritte Handwerker verfolgte „Damen“ und wurden mit einem prächtigen Zinnteller belobigt

Frankfurt (taz) - Gerade eine knappe Stunde blieb den Kriminalbeamten am 12. April 1989 Zeit, die Spuren zu sichern. Um Punkt elf mußte die Börse wieder öffnen, komme was da wolle. Gegen zehn Uhr morgens, eine gute Stunde vor der Eröffnung des weltweiten Geldhandels, waren vier bis acht, in dieser Spanne schwanken die Zeugenaussagen, unbekannte TäterInnen in die Börse eingedrungen. Sie hatten mit Hallo und Geschrei den Balkon im ersten Stock gestürmt und viele kleine und ein paar große Flaschen mit zischend und flackernd explodierender, schwarzer Flüssigkeit in den Börsensaal geworfen. „Wie Phosphor“, beschrieb ein Zeuge.

Zwei Frauen und ein Mann waren später nach einer chaotischen Verfolgungsjagd festgenommen worden, ein weiterer Mann kam im Juni aufgrund von Zeugenaussagen in Untersuchungshaft. Seit Prozeßbeginn Mitte Februar tut sich der 4. Strafsenat schwer mit der Beweisaufnahme. Der Vorsitzende Richter Dieter Adam wirkt zwischenzeitlich entnervt. Die vier Angeklagten, neben schwerer Brandstiftung und Körperverletzung der Unterstützung der RAF, nämlich ihres 10. Hungerstreiks, beschuldigt, ignorieren ihn weitgehend. Sie gestalten den Gerichtssaal zweimal wöchentlich zur Picknick- und Plauschecke. Noch schlimmer sind die Zeugen, die dem Verfahren eine eher kaberettistische Note geben.

Da sind zum Beispiel die Zeugen V. und K., beide damals als Handwerker in der Börse tätig. Sie gingen auf Verfolgungsjagd nach den flüchtigen Tätern und wurden dafür vom Frankfurter Polizeipräsidenten Gemmer mit einem Zinnteller belohnt. Oberpolier K., der die Hatz länger durchhielt, erinnert sich. Er habe drei Frauen verfolgt, die durch die noble Ladenstraße hinter der Börse flanierten und sich die Auslagen einer Konditorei betrachteten: „Das sah aus wie ein Schaufensterbummel der Damen.“ Er sei dann in einen der durch die Alarmanlage der Börse herbeigerufenen Polizeiwagen gesprungen und habe den Beamten gezeigt, wo es langgeht. Gewußt habe er das von seinem Kollegen V., der ihm mit „Da laufen sie!“, die Richtung gewiesen habe.

Sowohl V. als auch K. berichteten von hohen Flammen in der Börse. V. räumte dann jedoch ein, daß er davon doch nicht so arg viel gesehen habe, weil er den ganzen Überfall eigentlich im Magazin verbrachte. Der Schreiner S. und der Elektriker K. machten sich durch Löscharbeiten verdient. Auch sie sahen hohe Flammen, die aber schon ausgeflackert waren, als sie mit den „reichlich vorhandenen“ Feuerlöscher ankamen. Zurückblieben schwarze Flecken auf dem Fußboden.

Der Schreiner S. erklärte seinen Eifer beim Löschen auch durch seinen holzverarbeitenden Beruf: „Feuer muß sofort gelöscht werden!“ Anfangs habe er übrigens den Auftritt mit „Lärm, Feuer und Hupen“ für einen Gag gehalten. Sicherheitsmann B. setzte sich in Konkurrenz zu dem Schreiner. Er sei „als erster“ vor Ort gewesen und habe gelöscht, andere habe er nicht gesehen. Die wiederum sahen nicht, daß B. von einem der Täter geschlagen worden sein soll. Die Ruhe in dem Tumult behielt nur die 63jährige Garderobiere Gudrun S. Sie verzog sich in ihre Garderobe, schloß die Tür und löschte das Licht. Die vier Angeklagten kündigten an, daß sie ab sofort wieder im Solidaritätshungerstreik mit den Gefangenen der spanischen Grapo seien.

Heide Platen