Neu im Kino: Ein Portrait des Künstlers als Krüppel

■ „Mein linker Fuß“

Ein Fuß kommt unter einer Decke hervor, bewegt sich zu einem Regal und zieht eine Schallplatte heraus. Die Zehen legen die Platte auf den Drehteller, schalten den Plattenspieler ein, und während Swingmusik einsetzt, geht die Kamera zurück und zeigt uns den restlichen Körper des verkrüppelten Mannes, dessen zuckenden Bewegungen und verkrampftem Gesicht man dennoch ansieht, daß er sich wohlfühlt.

So beginnt der irische Spielfilm „My Left Foot“ nach der Autobiographie von Christy Brown, der seit seiner Geburt an einer schweren Athenose litt und nur die Bewegungen seines linken Fußes beherrschen konnte. Christy wuchs in einer kinderreichen Arbeiterfamilie im Dublin der dreissiger und vierziger Jahre auf, und der Film erzählt von seiner Entwicklung vom unter der Treppe vegetierenden Wurm, den alle für schwachsinnig hielten, weil er sich nicht artikulieren konnte, zum talentierten Künstler, der mit seinem Fuß Bilder malte und Bücher schrieb.

Seit „Gottes vergessene Kinder“ und „Rain Man“ sind Filme über Behinderte kein Tabu mehr, aber Hollywood zeigt immer noch schöne Krüppel wie die taubstumme Marlee Metlin oder Dustin Hoffman. Regisseur Jim Sheridan erspart uns nicht die Bilder von spastisch verrenkten Gliedern: Daniel Day Lewis und Hugh O'Conor als der junge Christy wirken zuerst abstossend und erregen unser Mitleid - Gefühle, mit denen ja auch Christys Umwelt auf ihn reagiert hat. Wir werden nicht von Anfang an zum Komplizen des armen Helden gemacht, sondern unser Bild von ihm ändert sich langsam, so wie auch er sich entwickelt. Die Mühe, mit der er zum ersten Mal auf dem Fussboden Buchstaben schreibt; sein Stolz, als seine Bilder gelobt werden; aber auch die verzweifelteLiebe zurSprachtherapeutin - davon erzählt der Film auf eine nie sentimentale, aber immer liebevolle Weise. Es gibt keine Schurken und Samariter, nur schwache, sehr reale Menschen und Christy, der sich immer mehr als komplizierter, normaler Mensch voller Widersprüche entpuppt.

Daniel Day Davis, der mit dem „wunderbaren Waschsalon“, „Zimmer mit Aussicht“ und der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ ein schicker Modeschauspieler des britischen und US-Kinos wurde, überrascht als Christy mit einer intensiven und uneitelen Leistung, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Durch ihn bekommt Christy faszinierenden Charme und wirkt nie larmoyant. Den „Sein oder Nichtsein„-Monolog lernt er für die Sprachtherapie auswendig, aber als er nach seiner Meinung über Hamlet gefragt wird, antwortet er: „Ein Krüppel - er kann nicht handeln !“ Christies Geschichte zeigt, daß man als „Krüppel“ geboren werden kann, aber es nicht bleiben muß. Wilfried Hippen

Gondel 18.00, 20.30 Uhr