Sinto wirbt für Sympathie

■ Der 58jährige Sinto Josef Muscha Müller informiert jetzt auch in Ostberliner Schulen über das Leben unter dem Naziregime / Vorurteile werden ausgeräumt

„Meine Hautfarbe ist echt. Ihr könnt mich ja baden, wenn Ihr wollt. Aber ich bin wirklich ein waschechter Sinto.“ Verschmitzt schaut Josef Muscha Müller in die Runde und wie erwartet fangen die ersten SchülerInnen an zu kichern.

Damit hat der dunkelhäutige Besucher im Prenzlauer Berg den Bann gebrochen. Zwar ist der Westberliner Sinto nicht als Unterhalter von der Schulleitung engagiert worden. Dennoch will Müller seine Erzählungen über sein Leben als verfolgter Sinto nicht in graue Worte kleiden. Spaß soll das Zuhören schon machen. Und tatsächlich hören die vierzig SchülerInnen, die sich an diesem Mittwochvormittag in einem Klassenraum zusammenquetschen, dem 58jährigen wie gebannt zu.

Kein Mucks ist zu hören, als der Sinto von seinem eigenen Schülerdasein unter dem Naziregime berichtet. „Plötzlich wollte keiner mehr was mit mir zu tun haben, weil ich so dunkel war.“ Als zehnjähriger Steppke habe er einfach nicht begreifen können, warum die Lehrer gerade ihn immer wieder verprügelt hätten. Damals war er sich nicht bewußt, überhaupt ein Sinto zu sein. „Meine Pflegeeltern hatten mich aus einem Kinderheim geholt. Als dann die Nazis an der Macht waren, wurden sie aufgefordert mich gegen ein hellhäutiges Kind umzutauschen.“ Das hätten sie natürlich nicht getan. „Als ich zwölf war, haben sie mich eines Tages von der Schule abgeholt und in ein Krankenhaus gebracht. Sie sagten mir, ich hätte Bauchschmerzen.“ Kurz darauf schon habe er unter dem Messer gelegen. Der wahre Grund: Er sollte zwangssterilisiert werden. Später sei er dann von Widerstandskämpfern der USPD aus dem Krankenhaus geschmuggelt und in der Nähe von Halle in einer Laubenkolonie versteckt worden. Erst nach dem Krieg sei ihm bewußt geworden, daß er niemals Kinder haben könne.

Aber auch die Hoffnung, daß Sinti und Roma in Zukunft von Diskriminierung verschont bleiben würden, habe sich in der DDR wie in der BRD schnell als Illusion herausgestellt. „Die Vorurteile sind immer noch dieselben. Unsere Generation verleugnet deshalb noch immer ihre Herkunft und hat Angst“, erklärt Müller den SchülerInnen. Der rundliche Mann, der im Westen als Sozialarbeiter sein Brot verdient, räumt lieber gleich noch ein paar Vorurteile aus der Welt.

Sinti und Roma, so sagt er, seien weder dreckig noch würden sie klauen. Jede kriminelle Handlung würde gleich doppelt bestraft - zum einen durch die Justiz, zum anderen vom Ältestenrat einer jeden Familie. „Was ihn neben seinem Kampf mit dem tumben Verhältnis der Deutschen zu den Sinti aber am meisten beschäftigt, gibt er den SchülerInnen auch noch mit auf den Nachhauseweg: „Daß ich nicht weiß, wer ich bin, macht mich sehr unglücklich.“

Müller hat nämlich vor drei Jahren erfahren, daß er einen Zwillingsbruder hat. Den versucht er jetzt unter allen Umständen zu finden. Jedoch: „Wer weiß, vielleicht bin ich mein eigener Zwillingsbruder und Josef ist schon längst tot?“

Christine Berger