Fünf Stunden Theatergeschichte

■ Peter Brooks "Mahabarata", das größte Epos der Welt auf Eins Plus

Als am 14. Juli 1985 in einem Steinbruch südlich von Avignon morgens um halb sieben sich die 1.000 ZuschauerInnen nach neun Stunden erhoben, wußten sie, daß sie einem einzigartigen Ereignis der Theatergeschichte beigewohnt hatten. Mit ihren Ovationen holten sie den 60jährigen englischen Regisseur Peter Brook von seinem Tribünenplatz hinab zum Ensemble, zu den 23 SchauspielerInnen und den fünf MusikantInnen, die das Mahabarata, das große Heldenepos der Inder soeben als spectacle realisiert hatten. Da stand er nun, wie Peter von Becker in 'Theater Heute‘ schrieb, „der kleinwüchsige Magier mit dem listigen Lächeln zwischen seinen aus Afrika, Japan, den USA, aus Indien, aus Frankreich, Italien, Polen, der Schweiz und aus Deutschland stammenden Akteuren, nahm mit freundlicher Rührung den emphatischen Dank entgegen nach einer Aufführung, die auch für den vielerfahrenen Mann ein Stück Lebenswerk bedeutet“.

Zwar war Brook in den 50er und 60er Jahren schon der gefeiertste Shakespeare-Regisseur, und auch die Verfilmungen seiner Inszenierungen von Peter Weiss‘ Marat/Sade wurden ein weltweiter Kinoerfolg, sein Hauptwerk sollte aber zweifellos das Mahabarata werden.

Acht Jahre lang hatte der französische Autor Jean-Claude Carriere, zusammen mit einem Sanskrit-Kenner an der szenischen Adaption des Mahabarata gearbeitet. Reisen nach Indien mitsamt den SchauspielerInnen und TechnikerInnen hatten dazu gedient, die imperialistische Aneignung des exotischen Stoffes zu bannen. Ging es hier doch um die Dramatisierung des vor 2.500 Jahren entstandenen Riesenepos, das in seiner schriftlich überlieferten Fassung als das umfangreichste Werk der Literaturgeschichte gilt. In 100.000 Doppelversen wird die Geschichte der Nachkommen des Sagenkönigs Bharata geschildert, eine Art Ursprungs- und Menschheitsgeschichte zugleich, die an Kollektiv- und Einzelschicksalen die Grunderfahrung der menschlichen Existenz aufzeigt.

„In der Morgenröte endet die Aufführung, heiter, gelöst“, schreibt der Theaterkritiker weiter, der von der Leichtigkeit und Anmut der Inszenierung fasziniert ist, im Kopf des Beobachters aber „entfacht das Erlebte von nun an mit jedem Tag der Erinnerung einen stärkeren Sog“. Die vom Regisseur betreute fünfeinhalbstündige filmische Adaption des Stückes läuft am Samstag um 21.05 Uhr, am Sonntag um 21.30 Uhr und am Mittwoch um 21.05 Uhr auf EINS Plus.

ks