Ein Muster ohne Wert

■ Heute hat der neugeschaffene Weltcup der Radprofis beim Traditionsrennen Mailand-San Remo seinen Auftakt, nur: Der Beste wird ihn nicht gewinnen

Berlin (taz) - In vielen Sportarten wird bei der Verleihung des „Weltcups“ derjenige Sportler ausgezeichnet, der sich über eine Saison hinweg in den bedeutendsten Konkurrenzen als der beste erwiesen hat. Nicht so beim „Weltcup“ der Radprofis, der heute in seine zweite Saison startet.

Zwölf Eintagesrennen haben die Verantwortlichen um den Niederländer Hein Verbruggen für diese Serie ausgewählt, und viele von den Fahrern und ihren Geldgebern hochgeschätzte Traditionsrennen fielen durchs Sieb. Statt dessen fanden Rennen in England und Kanada, deren sportlicher Wert mangels topographischer Anforderungen - äußerst gering ist, Aufnahme in Verbruggens Rennserie. Und eine Weltcup-Wertung im Profiradsport, die die großen Rundfahrten („Tour de France“, „Giro d'Italia“, „Vuelta Espana“ und „Tour de Suisse“) und die Weltmeisterschaft nicht berücksichtigt, ist praktisch ein Muster ohne Wert.

Besonders verärgert sind die Fahrer darüber, daß eine Woche nach dem Ende der „Tour de France“ bereits wieder ein Weltcup-Rennen auf dem Programm steht. „Da hat keiner Lust, ein wichtiges Rennen zu bestreiten. Da denkt jeder nur ans Regenerieren“, macht sich der 26jährige Wahl-Aachener Rolf Gölz zum Sprecher seiner Berufskollegen.

Die dominierenden Persönlichkeit des Profiradsports (LeMond, Fignon und Delgado) favorisieren seit Jahren ohnehin eine individuelle Terminplanung, mit deren Hilfe sie sich auf ihre Saisonhöhepunkte (und das sind nach wie vor die großen Rundfahrten und die WM am 2. September in Japan) gezielt vorbereiten. Unisono beklagen sie, daß drei der dreizehn Rennen des Weltcups erst im Oktober stattfinden, zu einem Zeitpunkt, der sonst für den Urlaub reserviert ist.

Am 27. Oktober soll das neu geschaffene „Masters-Rennen“ mit den zwanzig punktbesten Fahrern der Weltcup-Wertung stattfinden. Läuft die Saison für Verbruggen und seinen zweifelhaften Weltcup ganz schlecht, dann kann es passieren, daß das Masters zur echten Farce wird: zum Rennen der Unbekannten, für die sich nur eine Handvoll Insider interessiert. Die großen Sieger des Jahres, die Sieger von „Tour und Giro“, sind nämlich nicht automatisch zum Finale zugelassen.

Zum Auftakt darf sich Verbruggen beim heutigen Traditionsrennen Mailand-San Remo indes über ein gutbestücktes Fahrerfeld freuen. Rund 200 Fahrer gehen bei der 81. Austragung der „Primavera“ in der lombardischen Metropole an den Start. Der Kreis derer, die man nach rund sieben Stunden Fahrzeit auf dem „Corso Cavalotti“ im Rivierastädtchen San Remo vorne erwartet, ist wie jedes Jahr recht groß. Bei Mailand-San Remo ist alljährlich die Taktik gefragt. Wer bei der Distanz von fast 300 Kilometern am rationellsten „pedaliert“, der hat gute Chancen auf den Sieg.

Erfahrungsgemäß wird die Entscheidung wie in jedem Jahr beim Anstieg zum „Poggio“ (zehn Kilometer vor dem Ziel) fallen. Alle Augen werden dann vermutlich auf den zweimaligen Tour-de-France-Sieger Laurent Fignon gerichtet sein, der Mailand-San Remo in den letzten beiden Jahren gewonnen hat. Der letztjährige Weltcup-Sieger Sean Kelly (Irland), die Belgier van Hooydonk, Vanderaerden und de Wilde, die Einheimischen Baffi, Argentin und Chiapucci, der Schweizer Rominger und der Geraer Neuprofi Olaf Ludwig, der bereits vier Saisonsiege verbuchen konnte, gehören zu Fignons ärgsten Widersachern.

Zum erweiterten Favoritenkreis zählen neben dem Olympiasieger Ludwig auch die Bundesdeutschen Andreas Kappes (Bremen) und Rolf Gölz (Aachen). Sie könnten die Nachfolge Rudi Altigs antreten, der 1968 als bisher einziger deutscher Teilnehmer den Frühjahrsklassiker gewann.

Peter Mohr