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Ökotechnik in Leipzig noch in Randstellung

Niedersachsens Messestand: Promotion für saubere Luft beim Nachbarn / Erste Verhandlungen über Lizenzbau  ■  Aus Leipzig Katja Rietzler

Gälten bundesdeutsche Smogverordnungen auch in Leipzig, dann hätte nicht mehr viel gefehlt, und die Messegäste hätten ihre Karossen am Straßenrand stehenlassen müssen. Denn mit Schwefeldioxidwerten, die täglich mehrere Stunden über 0,6 Milligramm pro Kubikmeter Luft lagen, wäre in der Bundesrepublik die Smog-Vorwarnstufe erreicht. Die katastrophale Luftbelastung konnten die Messebesucher aus der DDR nun erstmals auf der Leipziger Messe im Meßcontainer des Niedersächsischen Landesamtes für Immissionsschutz verfolgen. Die Einrichtung im Rahmen des Gemeinschaftsstandes unter dem Motto „Umweltschutz aus Niedersachsen“ wäre zu Honeckers Zeiten noch völlig undenkbar gewesen und wurde erst kurzfristig im Dezember genehmigt.

Für Kombinatsvertreter wie Ingenieure, die sich selbständig machen möchten, ist dies der erste Kontakt mit den Siemens -Geräten, die die Konzentration von sechs Luftschadstoffen im Fünfsekundentakt registrieren und automatisch 30-Minuten und 24-Stunden-Mittelwerte berechnen. Entsprechend groß ist der Ansturm aus der DDR, genauso groß allerdings auch das Informationsdefizit.

„Das Bewußtsein, daß etwas gegen die Luftverschmutzung getan werden muß, ist in den Betrieben schon sehr ausgeprägt“, erklärt der Immissionsschutzexperte Gerit Gösling. „Doch die Betriebsleitung weiß oft gar nicht, was nötig ist, und will gleich zehn Meßstationen um die Fabrik errichten, obwohl ein Gerät am Schornstein völlig ausreicht.“ Die Preise dämpfen die Begeisterung jedoch schnell. Der Meßcontainer allein kommt auf rund 500.000 Mark (West), mit den angeschlossenen Rechnern gehen die Kosten in die Millionen. Eine erste Hilfe leistet daher das niedersächsische Umweltministerium, das leihweise Container in Halle, Magdeburg und Leipzig zur Verfügung stellt und die Ausbildung des Personals übernimmt.

Auch der Meßgerätehersteller Demus stößt auf reges Interesse im anderen Deutschland. Neben Umweltgruppen aus Dresden haben sich auch schon einige Ingenieure gemeldet, die den Vertrieb der Meßstationen in der DDR übernehmen wollen, sobald die D-Mark eingeführt ist. Noch heißt die Devise bei allen Interessenten Abwarten. So ist auch bei Geschäftsführer Gert Demus das vorläufige Messeergebnis ein Stapel Visitenkarten in der Anzugtasche.

Viele Sachbearbeiter aus volkseigenen Betrieben können sich zum ersten Mal offiziell ganz frei auf der Messe über Neuheiten der Umwelttechnik informieren. Noch im vergangenen Jahr mußten sie für jeden Stand, den sie besuchen wollten, einen genau begründeten Antrag stellen oder sich privat umsehen.

Privatbesuche waren bisher auch für den Chefingenieur Klaus Decker vom VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung in Karl-Marx-Stadt die einzige Möglichkeit, Informationen über westliche Kläranlagentechnik zu sammeln. Nach der Wende ist die Leipziger Messe seine Hauptinformationsquelle geblieben, denn die Devisenknappheit in seinem Betrieb erlaubt keine Informationsreisen in die BRD. Doch gerade bei den Abwasserunternehmen bremsen nicht nur die Devisenprobleme die Entscheidung für eine westdeutsche Anlage, die statt der in der DDR üblichen 20 Prozent einen Reinigungsgrad bis zu 96 Prozent erreicht. Die Unsicherheit darüber, ob sie nach den Wahlen am Sonntag in GmbHs oder kommunale Zweckverbände umgewandelt werden, zwingt die Betriebe zum Abwarten.

Da das Thema Umweltschutz auf der Messe eher eine Nebenrolle spielt, konzentriert sich der enorme Ansturm ökologisch interessierter DDR-Besucher neben dem niedersächsischen Gemeinschaftsstand vor allem auf den Zusammenschluß nordrhein-westfälischer Hochschulen, die unter dem Titel „Forschungsland Nordrhein-Westfalen“ in unmittelbarer Nachbarschaft ihre Ergebnisse in der Umwelttechnik vorstellen. Während am ersten Messetag hauptsächlich Wissenschaftler zum Informationsaustausch kamen, stürzten sich in den folgenden Tagen auch die Betriebe auf die neuen Technologien. Über Lizenzen für den Nachbau wird zum Teil schon verhandelt.

So haben der Diplom-Physiker Othmar Verheyen und seine Kollegen von der Universität Duisburg bereits einen DDR -Betrieb gefunden, der ihre neuentwickelte Recyclinganlage für wäßrige und alkalische Entfettungslösungen nachbauen möchte. Die Maschine kann in der Stunde 150 Liter Flüssigkeit aus Reinigungsbecken für Maschinenteile verwerten und eignet sich hauptsächlich für mittelgroße Maschinenbaubetriebe. Nach einer Einigung mit der Firma RIWA, die in der Bundesrepublik bereits die Rechte erworben hat, wäre die Bahn frei für die Produktion in der DDR.

Viele Firmenvertreter führen die Randstellung der Ökotechnik auf den Planungszeitraum für die Messe zurück, der noch in der Ära Honecker lag. „Bei der nächsten Leipziger Messe wird der Umweltschutz sicher ein Schwerpunktthema sein“, schätzt Horst-Dieter Fricke, der am niedersächsischen Ökostand ein Kunststoffwerk vertritt.

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