Politik von Fall zu Fall

■ Auch nach Schamirs Sturz gibt es in der israelischen Knesset keine eindeutigen Mehrheiten

Der König rief, aber bei weitem nicht alle kamen. Diese bittere Erfahrung mußte am Donnerstag abend auch Ministerpräsident und Likud-Chef Jizchak Schamir machen. Das israelische Parlament hat ihm schlicht die für den Fortbestand einer von ihm geführten Minderheitsregierung notwendige Mehrheit verweigert. Zum ersten Mal in der Geschichte des Staates Israel wurde damit ein Regierungschef von der Knesset in die Wüste geschickt.

Die Verwunderung über dieses Premierenereignis hält sich allerdings in engen Grenzen. Denn zu lange zeigte sich Schamir von harscher Unnachgiebigkeit, wenn es um mögliche Gespräche mit dem palästinensischen Erzfeind ging. Und das trotz unmißverständlicher Warnungen aus Washington. Dabei waren all die Aufgeregtheiten, die diesen möglichen Dialog von vielen bereits als „Nahost-Friedensgespräche“ apostrophiert - begleiteten, ohnehin kaum verständlich. Denn erklärtermaßen ging es dabei nur um Vorgespräche, die über weitere Vorgespräche vielleicht einmal in tatsächliche Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern hätten münden können.

Die heftige Kontroverse über diese Vorverhandlungen ist nur Symptom einer sattsam bekannten Krankheit. Denn seit geraumer Zeit leiden alle israelischen Regierungsmehrheiten an der galoppierenden Schwindsucht, die ihrerseits wiederum nur die Unentschlossenheit und Polarisierung des Wahlvolkes widerspiegelt. Doch Schamirs Rechnung, beim Durchkalkulieren von Mehrheiten auf den Verzicht jeden Dialogs mit den Palästinensern zu setzen, ging nicht auf. Noch nicht einmal alle Likud-Abgeordneten votierten für ihren kompromißlosen Chef.

Ob freilich das Votum der Knesset gegen Schamir auch ein Votum für Peres war, ist zweifelhaft. Denn die orthodoxe Schas-Partei, die Schamirs Fall verursachte, hat mit Peres wenig im Sinn. Den „Gralshütern des Judentums“ geht es vor allem darum, via Innenpolitik das Land durch Thora und Talmud zu prägen.

Staatspräsident Herzog wird vermutlich zu Beginn der nächsten Woche Peres mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Dabei stehen die Erfolgschancen für den Führer der Arbeiterpartei ganz gut. Er kann zunächst einmal auf verschiedene kleine Religionsparteien und auf diejenigen, die links der Arbeiterpartei angesiedelt sind, zählen. Doch darf ein solch fragiles Bündnis nicht mit einer berechenbaren Knesset-Mehrheit verwechselt werden. Bei all den altbekannten Kontroversen, die schon immer die israelische Gesellschaft polarisierten, wird sein Kabinett schon bald nur Politik von Fall zu Fall betreiben können. Und das vielleicht im wortwörtlichen Sinn.

Walter Saller