Kunstaktion mit Kreide

■ Schnelle Privatisierung im Kunsthandel schafft Fakten / Bericht aus dem Dresdner Stollen (2.Folge)

Die Sachsen sind freundliche Menschen. Sie stehen mitten in der Stadt auf einem öffentlichen Platz und bilden einen kleinen, friedlichen Auflauf zum Zwecke der Kunst. Frauen, Kinder und Männer stehen und reden ein bißchen und bemalen mit Kreide einige Säulen. Die Säulen gehören zur Neuen Dresdner Galerie, und es geht die Mär, daß diese Galerie, dem Staatlichen Kunsthandel angeschlossen, demnächst verkauft werden soll.

Genau weiß das kaum jemand, aber für alle Fälle steht man da und fordert für den Sächsischen Kunstverband eine städtische Galerie. Oder ein Haus. Oder jedenfalls Aufmerksamkeit. Der es genau weiß, steht in der Galerie und wehrt als ihr Leiter Kauf- und Mietangebote von Reisebüros und Autohändlern ab: „Im Moment sind es mehr als 20 am Tag.“

Diese Kaufangebote sind so aussichtslos nicht. Anfang der Woche ist 300 eiligst in Ost-Berlin zusammengerufenen Galerieleitern, Denkmalspflegern, Briefmarken- und Münzhändlern (alle zwangsangeschlossen) mitgeteilt worden, der Staatliche Kunsthandel sei ab sofort nicht mehr staatlich, das Vermögen werde in eine GmbH transferiert, deren Geschäftsführer eben jene alten Funktionäre sind, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Kunst verwaltend behinderten. Während die gestrige Dresdner Tageszeitung 'Die Union‘ noch „die erste Reprivatisierung eines Betriebes im Land Sachsen“ für den 1.April meldet, verhandeln verdiente Genossen an führender Stelle über die Zukunft der Betriebe, verweigern Fortbildungslehrgänge in Westdeutschland für Mitarbeiter, die „dafür nicht vorgesehen sind“ und schaffen genau das, was die wohlerzogenen Künstler wie die meisten Bürger nicht schaffen: Fakten. Während aus langsam fahrenden westdeutschen Autos Figuren wie von Dix gezeichnet prüfend aus dem Fenster schauen, die Wiedervereiniger beim Wort „Gründerzeit“ heitere Bäckchen kriegen, stehen die Künstler auf der Straße und rufen eine nicht funktionierende Öffentlichkeit und eine desolate Zwischenregierung an, ein Haus zu besetzen und als Produzenten ihren Anteil am Gewinn des Staatlichen Kunsthandels einzufordern. Die Dresdner Innenstadt ist eine Baustelle, am ehemaligen Schloß wird ein bißchen herumgewerkelt, der Dresdner Zwinger nach seinem Wiederaufbau 1964 derzeit wieder restauriert und die größte Galerie gerade wieder privatisiert. „Und wer soll das wegmachen?“ fragt ein Passant angesichts der Kreidestriche. Aber keine Angst, Genosse und Bürger: Das deutsche Hygienemuseum ist nach wie vor in Betrieb.

Elke Schmitter