Nach Schnur nun die Ost CDU?

Generalsekretär der DDR-CDU unter Stasi-Verdacht / Hessisches Innenministerium bestätigt eine Liste von Stasi-Informanten mit dem Namen des CDU-Generals Kirchner / Kirchner gilt als der Favorit der CDU-West  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Nach dem Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, Schnur, ist nun auch der Generalsekretär der CDU -Ost, Martin Kirchner, unter den dringenden Verdacht der Mitarbeit für die Staatssicherheit geraten. Kirchner räumte gestern ein, Kontakte zum früheren Ministerium für Staatssicherheit gehabt zu haben. Es habe keine Zusammenarbeit gegeben, wohl aber Gespräche im Zuge „meiner kirchlichen Tätigkeit, wie dies in allen Fällen gewesen ist, daß man hier an der einen oder anderen Stelle befragt worden ist“, sagte Kirchner. Die Gespräche mit der Stasi hätten „bei einigen wenigen sporadischen Besuchen“ stattgefunden und seien „Kontaktgespräche“ gewesen. Der Inhalt sei weniger bedeutend gewesen. Die Gespräche im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorstand des Kreiskirchenrates Gera hätten eher dazu gedient, ihn kennenzulernen.

Kirchner sah sich offenbar zu diesem Teilgeständnis veranlaßt, nachdem gestern in einer Sitzung des Hauptausschusses des hessischen Landtages der Leiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Scheicher, bestätigt hatte, daß sein Amt über eine geheime Liste eines hohen Stasi-Offiziers verfügt. Auf dieser Liste stünden 23 Namen von prominenten Stasi-Informanten. Ein Name laute Wolfgang Schnur, ein anderer Martin Kirchner. Kirchner, Generalsekretär der CDU-Ost, gilt als Favorit seines Amtskollegen im Westen, Volker Rühe. Walter Wallmann bezeichnete ihn erst kürzlich als seinen „persönlichen Freund“.

Einen ersten Verdacht über mögliche Stasi-Kontakte Kirchners hatte der 'Spiegel‘ Im Zusammenhang mit seinem Bericht über Schnur geäußert. Dieser Verdacht hat sich gestern konkretisiert. Drängende Nachfragen im Hauptausschuß des hessischen Landtags ergaben, daß der Verfassungsschutz -Chef Scheicher seinen Dienstherrn, Innenminister Milde (CDU), schon am 29.Januar darüber unterrichtet hatte, daß ein hoher Stasi-Offizier eine Liste von Informanten dem Amt übergeben hat. Darauf stand neben Schnurs auch Kirchners Name. Die hessischen Verfassungsschützer schätzten ihre „Quelle“ offenbar als so hochrangig ein, daß sie zur Vernehmung dieses Stasi-Offiziers extra einen Kollegen vom Kölner Bundesamt zuzogen.

Am 19. Februar, so stellte sich gestern auf Nachfrage der hessischen Grünen heraus, ist dann der Generalsekretär der hessischen CDU, Franz-Josef Jung, beim Landesamt für Verfassungsschutz vorstellig geworden. Dabei wollte er ausforschen, ob etwas und was gegen Kirchner vorliege. Auch er wurde dabei über die belastende Liste informiert.

Gestern nun erklärte Innenminister Milde, man wisse ja gar nicht, ob die Stasi-Liste mit Schnurs und Kirchners Namen wirklich echt sei. Seit Ende Januar, so die Schlußfolgerung der hessischen Grünen, hat die hiesige CDU entweder nichts unternommen, um die Vorwürfe zu klären, oder aber sie wollte Kirchner bis nach der Wahl in der DDR bewußt decken.