Auf zur letzten Wahl!

■ SPD oder "Allianz für Deutschland" - das wird über die Modalitäten der Vereinigung entscheiden

Das einschneidendste Ergebnis der ersten freien Wahlen in der Geschichte der DDR steht fest, seitdem die Machthaber dem Druck der BürgerInnen nachgeben mußten. Mit der Entscheidung vom Sonntag endet die über 40jährige SED -Herrschaft im zweiten deutschen Staat. Das Land, das bis zum Herbst als ernstzunehmendster Gegner der Gorbatschowschen Reformpolitik galt, wird auch das erste Land im ehemaligen Ostblock sein, das Kommunisten jeglicher Couleur - aus der Regierung verbannt. Damit endet auch die Übergangsphase des SED-dominierten Kabinetts, das seine Macht erst mit der Straße, dann mit dem immer selbstbewußter agierenden Runden Tisch teilen mußte.

Die demokratisch legitimierte Regierung, die aus den Wahlen hervorgeht, kann zumindest mitentscheiden, ob und wie stark der Vereinigungsprozeß von den Interessen der DDR mitbestimmt wird. Das letzte Parlament der DDR kann dem Land eine demokratische Verfassung geben, in die die spezifischen Erfahrungen der SED-Herrschaft und das Selbstbewußtsein der erfolgreichen Revolution einfließen. Sie könnte damit ein Zeichen setzen gegen den kollektiven Verfall des Selbstbewußtseins, der die Stimmungslage beherrscht, seitdem der Stolz der gelungenen Befreiung verflogen ist. Die Alternative besteht in der Übernahme des Grundgesetzes und flankierenden Übergangsregelungen zur Abfederung des Einigungsprozesses.

Nicht mehr das Ob, sondern das Wie der Einheit steht am Sonntag zur Wahl. Die Euphorie, die noch den Januar beherrschte, ist einer wachsenden Sensibilität für die möglichen sozialen Folgekosten gewichen. Drohende Arbeitslosigkeit oder die Forderungen ehemaliger Eigentümer aus dem Westen haben zumindest die Herausbildung einer negativen DDR-Identität gefördert. Angestammte Rechte sollen im Einheitsprozeß verteidigt, nicht abgebaut werden. Nicht die mit dem Verfassungsprojekt verbundene Frage der kollektiven Würde, sondern soziale Sicherheit wird die Wahlentscheidung dominieren.

Die kann allerdings keine der konkurrierenden Parteien und Bürgerbewegungen garantieren. Wenn die SPD - trotz ihres Zwischentiefs der letzten Wochen - die Wahl gewinnt, liegt das eher am Image als an überzeugenden Konzepten für die soziale Flankierung der Einheit. Gerade weil bereits die letzten Monate über den gemeinsamen deutschen Staat entschieden haben, mußte auch die konservative Kampagne gegen die „vaterlandslosen Gesellen“ ins Leere laufen. Der traditionsreiche Parteiname, die exklusive Unterstützung durch die West-SPD, die Aufkündigung des Bündnisses mit der Restopposition und die Vorverlegung der Wahlen haben die Chancen der SPD ausgebaut.

Die Erwartung eines Wahlsieges der SPD hat auch mit dem jämmerlichen Bild zu tun, das die konservativen Allianzparteien seit ihrem Zusammenschluß abgaben. Die rücksichtslose und unverhohlene Dominanz der West-Union sowie die öffentlichen gegenseitigen Attacken zwischen CDU -Ost, DSU und Demokratischem Aufbruch (DA) dürften morgen den Sozialdemokraten ebenso in die Hände spielen wie die Heterogenität des Bündnisses, das auf getrennten Listen antritt.

Auch der harte Wahlkampf gegen die SPD, die als ehemaliger und künftiger Komplize der SED hingestellt wurde, ging nach hinten los. Die CDU provozierte damit zwangsläufig die Frage nach ihrer eigenen 40jährigen Geschichte an der Seite der SED; die Bedeutung des DA dürfte nach der Enttarnung ihres Vorsitzenden als Stasi-Agent gegen Null tendieren; und die Entlastungsversuche des vor der Wende SED-loyalen DSU-Chefs Ebeling verfangen wohl nur bei eingefleischten Anhängern.

Das in Bonn durchgesetzte Votum der Allianz, den Anschluß der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes zu betreiben, dürfte kaum wahlentscheidend werden. Dennoch, wer die schnelle, die bedingungslose Einheit will, wem die Übernahme, die umstandslose Übertragung des bundesrepublikanischen Systems vorschwebt, muß Allianz wählen. Das wird reichen, um die Neu-Konservativen zur zweitstärksten Gruppierung in der Volkskammer zu machen.

Die im Bündnis 90 zusammengeschlossenen Bürgerbewegungen hingegen müssen nach ihrem Höhenflug im Herbst am Sonntag einen empfindlichen Einflußverlust hinnehmen. Ihr Verzicht auf West-Patronage und die unbestrittene Bedeutung während des Umbruchs macht sie zumindest zu Sympathiegewinnern der Wahl. Zusammen mit der Grünen Partei und dem Unabhängigen Frauenverband verspricht ihr Ergebnis auch Aufschluß über die Stärke des alternativen Spektrums in der DDR.

Eine bescheidene Rolle wird das liberale Bündnis spielen. Es wird wohl in erster Linie von der Autorität Genschers und den Hoffnungen zukünftiger Kleinunternehmer profitieren. Das Ergebnis der Bauernpartei wird zum Gradmesser für die Ängste der ländlichen Bevölkerung vor der Privatisierungsdrohung der Landwirtschaft.

Bleiben die ehemals Herrschenden. Die SED-Nachfolger werden in erster Linie von den sozialen Ängsten, der Popularität Modrows und dem Reststolz auf DDR-Errungenschaften profitieren. Diejenigen, die in der entwürdigenden Behandlung Modrows in Bonn zu erkennen glauben, was die gesamte DDR von der Einheit zu erwarten hat, dürften für die PDS stimmen. Ihr Ergebnis wird sehr viel beser ausfallen als noch vor wenigen Wochen vermutet. Auch wenn für die SPD eine Koalition mit ihr undenkbar ist, wird die künftige PDS -Fraktion die Position der Befürworter einer überlegten statt überstürzten Vereinigung stärken.

Matthias Geis