Gottes Süßigkeit im Brotsaufstrich

■ Zur Dialektik von Frühlingsgefühl (gottlos) und Zerknirschung (heilerfüllt)

Mit fröhlichen Leuten ist im Gottesdienst nichts anzufangen. Den Nachgeschmack von Brombeermarmelade im Mund, ein wachsweiches Frühstücksei im Bauch und das Bild einer schönen Frau im Kopf einfach selbstvergnügt durch Buntglas in die Sonne blinzeln - in ein Kirchenschiff paßt das ungefähr so gut wie ein Erzbischof in vollem Ornatwichs auf eine Segelyacht. Gotteshäuser sind seelen-gewinnbringend nur mit einem Grundsatzgefühl zeitloser persönlicher Nichtigkeit zu betreten. Guter Gottesdienst setzt zergrübelte Zerknirschtheit der Gemeinde voraus wie der Hausratsversicherer den Kellereinbruch. Nur im wohligen Schauer der Verzweiflung am Geworfensein ins Irgend-wie-doch -alles-Sinnlose tun sich die Sinnlücken auf, in denen große Predigten Gott placieren wie das schlechte Gewissen Lenor im letzten Spülgang. Gefragt ist eine kunstvolle Dramaturgie dialektischer Stimmungsumschwünge: Wer fröhlich in eine Kirche reinkommt, muß erstmal durch ein Tauchbad der Zerknitterung, um am Ende fröhlich wieder rauszukommen. Das ist Läuterung. Denn: Wie Fröhlichkeit eins von Gottes Ferne profitiert, lebt Fröhlichkeit zwei von Gottes plötzlicher Nähe.

Bei knalleblauem Himmel, Autovision in der Stadthalle, Demokratie in der DDR, Knospen im Bürgerpark und der Ausicht auf Walnußeis mit Sahne am Nachmittag eine echte Herausforderung für jeden Prediger mit Sonntagsdienst. Pastor Lohse stellte sich ihr am Sonntag in Unser Lieben Frauen und bestand die Prüfung mit Bravour.

Anzupredigen war gegen 18 Grad warme Frühlingslüfte und von Elia, einem frühen Vorläufer Lohses, der vor rund 2700 Jahren seinem/unserm Gott zu Liebe noch 450 Propheten der religiösen Konkurrenz erschlug und anschließend so verdattert war, daß es deshalb auch ihm ans Leben gehen sollte, daß er sich gott-und lebensmüde unter einen Wacholderbusch in die Wüste zurückzog und nichts weiter als sterben wollte. (Auch eine von diesen alttestamentarischen Absurditäten: aus lauter Angst vorm Sterben sterben wollen!) Aber Gott läßt das natürlich weder zu noch auf sich sitzen und schickt erstens was zu essen und zweitens einen Engel. Nicht zu Elias Sinnenfreuden, versteht sich, sondern als psycho-physische Durchhalteparole. Das wirkt! Elias Rückweg zu Gott ist mit Speis und Engelszuspruch gepflastert.

Und deshalb merke auch heute: Brombeermarmelade, weiche Sonntagseier und scharfe Frauen/Typen sind bis heute keine Selbstzwecke für die Frühlingsgefühle still und selbstvergnügt Gottloser. Sie haben ihren Sinn nur als platonische Zeichen des Ewigen, als Gottesbeweise, die uns am schönsten triffen, wo wir am tiefsten durchhängen.

Klaus Schloesser