Bremer Telefongespräche: Computer übernehmen Sie!

■ Nächste Woche wird die Bremer Ortsvermittlungsstelle „Steintor“ auf Computertechnik umgestellt / „düt---düt---düt“

Am Dienstag, den 27. März 1990, hält die „Postmoderne“ auch im Stein- und im Ostertor Einzug: Und zwar bei all den 13.000 FernsprechteilnehmerInnen, deren Telefonnummer mit einer „7“ anfängt und deren Telefonleitungen unterirdisch zu der gemeinsamen Ortsvermittlungsstelle „Steintor“ hinfinden: Im Laufe dieses Dienstags schalten Techniker vom Fernmeldeamt diese Ortsvermittlungsstelle mitsamt den 13.000 daranhängenden Anschlüssen von „analog“ auf „digital“ um, von der guten alten Elektromechanik auf Computer. Den wenigsten Steintor'schen wird der feine Unterschied auffallen. Denn an den Telefonapparaten in ihren Wohnungen und Büros ändert sich erstmal nichts. Und davon, daß ihre „Verbindungsdaten“ (Wer-wann-mit-wem-und

wielange-telefoniert) kurzfristig aus technischen Gründen gespeichert werden, merken sie nichts. Außerdem dürften Fernmeldeamt und die Herstellerfirmen SEL und Siemens inzwischen soviel Routine haben, daß die neuen Postcomputer in den ersten Tagen nicht völlig überlastet „abstürzen“, wie es bei der Bremer Premiere im Sommer '86 in Walle der Fall war, als die Telefone mit den „39er“ Nummern tagelang streikten.

Ade: düt-düt-düt

Nur: Wer von den Steintorschen ab dem 27. März ganz genau die Ohren spitzt, mag sich darüber wundern, daß sich von einem Tag zum anderen die „düt-düt-düt„-Töne des Besetztzeichen anders, „synthetischer“ anhören. Daß es auf einmal zwei Besetztzeichen gibt, ein schnelles „dütdütdütdüt“, wenn unterwegs die Leitung nicht frei ist und ein langsames „düt---düt---düt“, wenn am Ende die Zielnummer besetzt ist (so „dütdüt„-mäßig erläutert es zumindest der Pressesprecher der Oberpostdirektion). Sensible HörerInnen können auch merken, daß beim Wählen nicht mehr Nummer für Nummer leise und altmodisch „durchrattert“, sondern daß die Zielnummer als „vollständiger Datensatz“ rasch übertragen wird. Sie könnten außerdem noch entdecken, daß ihr Telefon nie wieder „tot“ ist. Dieses rätselhafte Schweigen in der Leitung, das sich manchmal nach dem Wählen einstellte, war eine Tücke der Mechanik: Jeweils hundert TeilnehmerInnen mußten sich in der Vermittlungsstelle acht klitzekleine mechanische

Wählmaschinchen teilen, riefen statt acht neun gleichzeitig an, hatte die neunte das Nachsehen, ihre Leitung war „tot“. Solch ein Gedrängel und Geschubse kennen die leistungsfähigen Mikrochips beim Vermitteln nicht.

Doch bleiben wir noch einen Moment bei der Telefoniererin mit der Anfangsnummer „7“. Durchschnittlich musikalisch begabt, wird sie vermutlich erst dann hellhörig werden, wenn die Bundespost - wie für 1991 geplant - ihre Gebühren für Ortsgespräche erhöht oder wenn es im Laufe des Jahres 1990 einen neuen Service im Angebot der Post gibt: den „Einzelgebührennachweis“. Eifersuchtsdramen

Den Nachweis können die postmodernsten der FernsprechteilnehmerInnen auf Antrag zugestellt bekommen und auf dem sind säuberlich aufgelistet, alle Telefonate, die von diesem Apparat aus im letzten Monat geführt wurden - mit Datum, Uhrzeit, Gebühreneinheiten und Zielrufnummern: Eifersüchtige Szene-Männer können den Telefonverkehr ihrer Partnerin nachkontrollieren, Mütter den ihrer pubertierenden Söhne, Geizhälse den ihrer ausländischen Putzfrauen. Begleiterscheinung: Vertrauliche Anrufe bei AnwältInnen und Zeitungsredaktionen, bei Drogen- oder Aidsberatungsstellen bleiben nicht länger anonym (weshalb die Beratungsstellen auch vor Gericht ziehen wollen, um durchzusetzen, daß ihre Telefonnummern weder gespeichert noch ausgedruckt werden dürfen). Die Oster- und die Steintor

'schen werden mit die ersten BremerInnen sein, die sich bald solch einen „Einzelgebührennach weis“ ausdrucken lassen können. Denn ihre Ortsvermittlungsstelle wird nicht nur „digitalisiert“, wie vorher die in Walle, Findorff und Schwachhausen, sondern auch „ISDN-fähig gemacht“.

ISDN bedeutet: „Integriertes Sprach- und Datennetz“ oder im Original: „Integrated Services Digital Network“. Und ISDN ist Sinn und Zweck der ganzen postalischen Investitionsbemühungen: ein einheitliches, leistungsfähiges Netz, in dem an einem Anschluß die verschiedensten Geräte hängen können: u.a. Telefone, Telefaxe (Fernkopierer), Bildtelefone und Personal-Computer. Solch ein Netz braucht im Steintor natürlich weder die Rentnerin, die täglich mit ihrer Schwester in der Neustadt telefoniert, noch die StudienrätInnen-Familie mit ihren zwei Hausapparaten. Von den 13.000 Steintor/Ostertor-ApparatebesitzerInnen hat bisher denn auch erst eine - eine Firma am Dobben - einen ISDN-Anschluß beantragt. Aber wie sagen die Postler: „Bei der Einführung des Telefons mußte auch erst eine Durststrecke überwunden werden.“

Abfallprodukt der ISDN-Technik nun ist der besagte „Einzelgebührennachweis“, für den sich eine StudienrätInnen -Familie eventuell auch interessieren dürfte. Denn beim wunderbar integrierten „ISDN“ werden alle Verbindungs-Daten von ISDN-TeilnehmerInnen bundesweit in einem einzigen Gebührenrechenzentrum 90 Tage lang gespeichert. Und wenn diese Speicher

möglichkeiten schon mal vorhanden sind, kann als besonderer Service auch für alle TeilnehmerInnen, die mit ihren herkömmlichen Telefonapparaten an den „ISDN„-fähigen Ortsvermitt- lungsstellen dranhängen, eben besagter „Einzelgebührennachweis“ angeboten werden. Was den wenigsten BeantragerInnen dabei klar sein dürfte: Ihre „Verbindungsdaten“ werden ebenfalls in Offenburg gespeichert. Weiteres Abfallprodukt der Datenberge :rge: Nicht nur Familienväter, auch Staatsanwälte haben leichten Zugriff. Anders in Frankreich und der Schweiz: Hier setzten DatenschützerInnen durch, daß Zielrufnummern nicht oder verkürzt gespeichert werden, um das „Fernemeldegeheimnis“ zu wahren.

In der Stadt Bremen gibt es 300.000 Telefonanschlüsse, die in 36 Ortsvermittlungsstellen zusammenlaufen. Von diesen 36 sind bisher erst drei „digitalisiert“ und ist noch keine „ISDN-fähig“. Die Vermittlungsstelle „Steintor“ soll den Anfang machen. Im kommenden Sommer will die Bremer Bundespost dann groß Einweihung feiern. Denn sie hat für die Geschäftsleute in der Innenstadt ihre Ortsvermittlungsstelle „Domsheide“ neugebaut. Für Neugierige: der Neubau ist zwischen Angestelltenkammer und Polizeihaus gelegen, allerdings näher am Polizeihaus. Nicht nur für die Innenstadt-Kundschaft mit den Nummern „32“ und „33“ soll es nach der Einweihung „ISDN„-Anschlüsse geben, sondern bis 1991 für alle TeilnehmerInnen im Stadtgebiet, die dies wünschen, auch wenn die Ortsvermittlungsstelle vor ihrer Haustüre noch längst nicht auf „ISDN“ umgestellt ist. „Basis -Anschluß-Konzentratoren“ an der Domsheide sollen dieses „Ranholen“ möglich machen. Allein in Bremen investiert die Post 1990 rund 100 Millionen in die

neue Technik. Davon sind 50 Mio. Mark für die Technologie in den Ortsvermittlungsstellen bestimmt und weitere ca. 50 Mio. Mark gehen drauf für neue Gebäude und für neue Übertragungstechnik: Die Digitaltechnik muß in zusätzlichen und klimatisierbaren Räumen untergebracht werden, da in den alten Räumen bis zum „Umschalttermin“ die alte Technik stehen bleibt. Zudem müssen für das ISDN-Netz die bisherigen Kupferkabel zusammengeschaltet und „aufgemotzt“ werden, damit sie die Datenfracht der Zukunft bewältigen können.

Bundesweit soll das „ISDN„-Programm im Jahr 2020 flächendeckend verwirklicht sein. Nicht umsonst rühmt sich die Bundespost, größter Investor der Republik zu sein: Die Gesamtkosten des „ISDN„-Projekts werden auf 300-400 Milliarden Mark geschätzt. Die BRD ist gegenwärtig das Land, in dem die ISDN-Technik mit am weitesten fortgeschritten ist, Postminister Schwarz-Schilling hatte die neue Technik forciert, um die Exportchancen seiner Hauptlieferkonzerne Siemens und SEL auf dem Weltmarkt zu erhöhen. Die Bremer Ortsvermittlungsstelle in Walle, die '86 als eine der ersten in der Bundesrepublik von der Firma SEL auf „digital“ umgestellt worden war, ist bis heute denn auch Anziehungspunkt für KundInnen aus aller Welt. Hubert Nothdurft, in Bremen zuständig die neue Technik, hat „praktisch alle“ durch die Räumlichkeiten unter dem Waller Fernsehturm geführt: „Chinesen, Sudanesen, Japaner, Araber aus den Emiraten...“ Die Hoffnung einiger bundesdeutscher Postler, sie könnten ihre zwar ausrangierte aber bewährte elektro-mechanische Technik in die Dritte Welt oder in die DDR loswerden, erfüllte sich nicht. Nothdurft: „Auch in der Wüste wird jetzt Digitaltechnik eingesetzt“.

Barbara Debus