Zwist und Hader ums Geld für die Deiche

■ Oberlandesgericht erklärt Deichbeitragsverfahren für rechtswidrig / Deichverband will Praxis ändern, aber darf nicht

23 Pfennig im Monat oder 23 Mark im Jahr - so genau konnte die Haus-und Grundstücksbesitzerin nicht sagen, welchen Obulus sie in schöner Regelmäßigkeit an den Bremer Deichverband abführt. Nur penible Buchhalter werden in der Lage sein, ihrem Gedächtnis ad hoc die exakte Summe zu entlocken, die sie als jährlichen Beitrag zur Sicherung der Deiche berappen müssen. Viel ist es nicht im Einzelfall, ein weiterer Posten eben neben all den Kanaldeckelreinigungs-, Schornsteinfeger-und Schneekommandogebühren. Doch in der Summe ein erklecklicher Betrag, runde 8 Millionen Mark, die dem Bremer Deichverband pro Jahr

für die Instandhaltung der Deiche und die Gewässerunterhaltung zur Verfügung stehen. Damit soll es nun vorbei sein. Das Oberverwaltungsgericht Bremen erklärte jetzt in einem Urteil die bisherige Erhebung der Deichbeiträge für rechtswidrig. Damit mangelt es dem Verband fortan an der rechtlichen Handhabe, die Beiträge auch einzufordern.

Alle reden von der allgegenwärtigen Klimakatastrophe, die Orkane der vergangenen zwei Monate sind noch bestens im Gedächtnis und die nächste Sturmflut kommt gewisser als der nächste Schnee - da probt sich ein Teil der hiesigen wohlhabenden akademischen Mittelschicht in lega

listischen Aufständen gegen das Deichversorgungswesen. Als „verfassungsrechtlich nicht haltbar“ wurde das Beitragserhebungsverfahren vor dem Oberlandesgericht beklagt - eine „Lappalie“ nennt das Deichhauptmann Gerold Janssen. Wegen eines Monatsbeitrages, der den Gegenwert einer Flasche Chablis kaum übersteigt, wurden vor den Göttern der Jurisprudenz die Klingen gekreuzt. Richter Ingo Kramer, Hausbesitzer aus dem Ostertorviertel und einer der Kläger, hält vor allem den Einheitswert, jene Formel, nach der die jeweilige Beitragshöhe errechnet wird, für verfassungswidrig. Und er vermißt „Gerech

tigkeit“ bei der Bemessens grundlage. Schließlich werde die Öffentliche Hand mit ihrem mannigfachen Grundbesitz gar nicht zur Kasse gebeten, höhergelegene Grundstücke, die vom Deichschutz nicht profitieren, seien geringer zu veranschlagen, und endlich müßte die Flächengröße zum ausschlaggebenden Beitragsmaßstab werden. Darüber ließe sich reden, sagt Gerold Janssen, der einst selber zur Front der Kläger wider den Deichverband gehörte, doch das alles sei kein Grund, per Gerichtsurteil „die ganze Solidargemeinschaft in Frage zu stellen“.

Kern des Streites ist die fehlende Möglichkeit der HausbesitzerInnen, das Beitragsverfahren durch Akteneinsicht auch überprüfen zu können. Zugestanden hatte man ihnen nur das Recht, nach Erhalt des Beitragsbescheides ihre persönlichen Einträge einzusehen. Die gesamten Daten aller Zahler aber waren ihnen verwehrt. Diese Praxis erklärte das Gericht nun für unzulässig: „Die Möglichkeit der Kenntnisnahme muß sich auf das gesamte Bei

tragsbuch und die gesamte Hebeliste erstrecken. Wird bei der Auslegung nur Einsicht in die Daten des Einsicht nehmenden Mitglieds gewährt, sind Beitragsbuch und Hebeliste wegen fehlender Bekanntgabe unwirksam.“

„Der Deichverband sitzt jetzt zwischen drei Stühlen“ kommentierte der 2. Deichhauptmann Wolfgang Golasowski das Urteil. Der Verband hätte nichts dagegen, die Wünsche der Kläger zu erfüllen und Akteneinsicht zu gewähren. Das aber erlauben Finanzamt und Datenschützer nicht. Das Finanzamt, das den Deichschützern alle erforderlichen Angaben über die bremischen Haus-und Grundstücksbesitzer liefert, damit die die individuellen Beiträge errechnen können, befürchtet den Bruch des Steuergeheimnisses. Und der Landesbeauftragte für den Datenschutz sieht in der Offenlegung der Daten aller Mitglieder das Recht auf informelle Selbstbestimmung verletzt.

„Eine ganz andere Struktur“ müsse her, fordert der erfolgreiche Kläger Ingo Kramer. Mit ei

ner Verstaatlichung der Finanzierung will er die „rechtspolitisch fragwürdigen“ Grundlagen des Deichverbandes beheben, ihn zur Wahrnehmung der Aufgaben vom Lande subventionieren lassen. „Einige Leute arbeiten daraufhin, daß der Deichverband aufgelöst wird“, bemerkt Deichhauptmann Gerold Janssen zu solchen Absichten. Und erinnert daran, daß der Senat vor einigen Jahren hat untersuchen lassen, ob die Aufgaben des Deichverbandes nicht von der Öffentlichen Hand besser wahrgenommen werden könnten. Doch sie seien schnell zu der Einsicht gelangt, daß das mit der zur Verfügung stehenden Summe nicht geht. Und beim Deichverband, so Janssen, sei schließlich auch gewährleistet, „daß jeder Pfennig für die Deichsicherheit, die Gewässer

unterhaltung und den Naturschutz ausgegeben wird“. Eine Lösung für das Dilemma könnte das geplante Bundeswasserverbandsgesetz sein, das noch in dieser Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet werden soll.

anh/mk