Das DDR-Fähnchen ganz freiwillig geschwenkt

■ Rund zehntausend vorwiegend junge Leute demonstrierten am Samstag in Berlin-West für eine unabhängige DDR / Mit Hammer&Zirkel-Fähnchen gegen den kalten Anschluß / Umstrittener Redebeitrag von Spanienveteran Fritz Teppich

Ihre Jacken sind schwarz, die Hosen weit geschnitten. Im Haar leuchten grell-bunte Strähnchen und die Fähnchen schimmern: schwarz-rot-gold mit Hammer&Zirkel stecken sie im Zopf oder hängen am Gürtel. Demo für die DDR: „Extrem abgefahren“, meint einer.

Die große Mehrheit der rund 10.000 DemonstrantInnen, die sich am vergangenen Samstag bei 20 Grad und strahlend blauem Himmel auf dem Kudamm für das Weiterexistieren einer unabhängigen DDR stark machten, waren zum Zeitpunkt des Mauerbaus noch nicht geboren, wahrscheinlich nicht einmal familiengeplant. „Ich bin hier mit der Mauer großgeworden und hab mich am 9. November riesig gefreut!“ meint eine Gymnasiastin, aber jetzt, „jetzt geht mir das alles viel zu schnell mit der Einheit!“

Karl Eduard von Schnitzler offensichtlich auch. Denn auch der frühere Plattmacher vom Schwarzen Kanal hatte seinen Namen unter den Demonstrationsaufruf setzen lassen; an dem Protestmarsch selbst nahm „Sudel-Ede“ aber nicht teil. Schade: Da hätte er sich ein Bild von jenen machen können, die noch vor Jahresfrist wegen ihres eindrucksvollen Aussehens und mitgeführter Flugschriften Probleme hatten, die Grenze zu passieren. Ob er verstanden hätte, daß die DDR -Fähnchen nun nicht mehr auf Kommando von Blauhemden geschwenkt, sondern ganz freiwillig von der Jugend im Gepäck mitgeführt werden, muß bezweifelt werden.

Die Mehrheit der Passanten begriff das übrigens auch nicht. „Watt solln dette?“ stammelte ein aus der Hauptstadt stammender Rentner fassungslos, der, nichts Böses ahnend, gerade eine Einkaufspassage verlassen hatte. Auch die Frage einer Touristin aus München, ob „dees jetzt Satire oder Ernst“ sei, wurde nicht beantwortet, - trotzdem machte sie auf jeden Fall ein Foto. „Gell, des is scho‘ verrückt bei Euch!“ meinte die Dame noch halb anerkennend, halb schockiert. Wo sie recht hat, hat sie recht: So ein Aufmarsch, in dem Punks, PDS'ler und Politfreaks gemeinsam „Nie wieder Deutschland“ skandieren, ist in der bayerischen Landeshauptstadt sicherlich nur schwer vorstellbar.

Die Abschlußkundgebung auf dem Breitscheidplatz war nur für kurze Zeit gut besucht. Offensichtlich wollten die zehntausend AnschlußgegnerInnen in erster Linie zeigen, daß „wir auch noch da sind“ und anschließend der Frühlingssonne fröhnen. Möglich ist aber auch, daß der „ehemalige Spanienkämpfer Fritz Teppich“, der als erster Redner zu den Demonstranten sprach, die Abwanderungstendenzen beschleunigte. Der Altkommunist stellte das „Unglücksdatum 9. November 1989“ allen Ernstes in eine Reihe mit den neunten Novembern der Jahre 1918 („Verrat der Revolution“), 1923 („Hitler-Putsch“) und 1938 (Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland). Diese Art Geschichtsunterricht, die nebenbei noch Friedrich Ebert für Josef Stalin verantwortlich machte, ging an der Mehrheit der ZuhörerInnen vorbei. Entsprechend spärlich war der Applaus. Und über seinen letzten Satz, „Wir sind das wirkliche Volk“, waren nicht wenige verärgert. „Geht das schon wieder los?“ fragte sich ein Demonstrant, der aus dem Osten gekommen war und gestern PDS gewählt hat.

C. Malzahn