IMMER SCHON GEAHNT

■ Solomon Burke im Palast der Republik

Vor dem Palast der noch real existenten Republik stehen die großen Übertragungsfahrzeuge der internationalen Medienmafia Arsch an Arsch, Satellitenschüsseln bei Fuß. Es ist die Wahlzeit.

Was alle die Journalisten wieder einmal nicht mitbekommen: Zwei Tage vor der Wahl findet das eigentliche Ereignis statt. Der Prediger und Soulist Solomon Burke schaut auf diese Stadt. Denn er, nicht Ronald Reagan, hat es schon vor drei Jahren in der Werner-Seelenbinder-Halle prophezeit die Mauer wird fallen, rief er damals den noch ungläubigen Blauhemden der FDJ zu, die sein Konzert organisiert hatten.

Burke hat das Prophetentum von der Pieke auf gelernt. Mit neun Jahren wurde er Prediger und Chor-Solist in der familieneigenen Kirche in Philadelphia. Schon vorher war „Reverend Burke“, wie man ihn in der Schule liebevoll nannte, in der Kirchenkette seiner Großmutter gospelnd aufgetreten. Rechtzeitig zum zwölften Geburtstag erhielt Solomon seine eigene Radioshow („Solomon's Temple“) und tourte als „Wonder-Boy-Preacher“ durch die Lande. Mit neunzehn nahm er seine ersten Platten auf, wurde in den Sechzigern ein gefeierter Soulstar, und sogar die Rolling Stones ließen sich bekehren - sie coverten drei Titel des Meisters.

Wenn er sich also heute die Ehre gibt, hat er allen Grund, nicht kleinlich zu sein. Das rausgeputzte Staatsdiener- und Proletarierpublikum im großen Saal des Glitzerpalastes, der atmosphärisch durch seine elegante Seriösität zu bestechen vermag (auch ein Hardcovermüsli vergißt hier das bewußte Asbestfaseratmen), darf warten. Burke schickt seine Bigband vor, die die undankbare Aufgabe hat, das Publikum „anzuheizen“. Man flüchtet noch einmal zur Bar, aber der „Rotkäppchensekt“ (6 Mark pro Glas) wird längst schon nicht mehr ausgeschenkt.

Irgendwann erscheint der Assistent des „King of Soul“ und hängt dessen roten Plüschumhang auf einen Stuhl am vorderen Bühnenrand. Erstes Zeichen, daß Burke selber sich irgendwann auf diesem Stuhl zu uns gesellen wird. Als er dann tatsächlich, unter starkem Beifall, in die Arena tänzelt, ist er noch viel fetter, als man erwartet hatte. Er schwitzt, ohne auch nur einen Ton herausgepreßt zu haben, unter seinem roten Königskostüm. Wir sollen alle eine große „pardy“ mit ihm feiern, es gäbe endlich ein „United Germany“, wir hätten eine „revoluschen“ gemacht, und der Palast sei ein „little church house“. Das DDR-Volk singt, nach der langen Entwöhnung schon wieder recht begabt, „Amen“ im Chor mit King.

Burke verteilt währenddessen rote Rosen, die sein Handlanger ihm ständig von hinten nachreichen muß. Auch sein rosa Schlafkissen in Herzform fliegt in hohem Bogen in Richtung Volksmassen. „Wenn ihr Sonntag wählt, werde ich schon wieder zuhause in L.A. sein, aber mein Herz wird bei euch sein.“

Noch eine „Rose aus Spanish Harlem“ wandert zur neuen Besitzerin, der umfangreiche Resonanzkörper Burkes erholt sich von all der Prediger- und Singerei auf dem Präsidentensessel - „Are you with me tonight?“ Sein Assistent muß die wichtigsten Passagen in der Rede übersetzen: „Wir sollen diesen place downrocken. Wir sollen etwas tun, das wir nicht dürfen. Sie können mich zwar heute aus dem Land werfen, dann bin ich aber Sonntag wieder da.“ Voll des biermannschen Revolutionszorns steckt unser Wanderprediger.

Im übrigen walzt er sich mit diversen Potpouris durch die Soulhistory „Stand by me“ - Wilson Pickett, Otis Redding und der verstorbene Sam Cooke werden herbeizitiert, eigene Titel scheint Burke an diesem Abend nicht zu benötigen. Er zieht „alle verheirateten Paare, even the guys“ zum Klammerblues auf die Bühne, scheint allerdings nicht zu wissen, daß er sich im Land mit der weltweit höchsten Scheidungsrate befindet.

Irgendwann sieht man ihn kaum noch zwischen den nun wohl auch ehelosen Walzerschiebern. Sein glitzernder Bratfolienumhang erscheint nur noch einmal zum großen Sam Cooke-Finale: „A change is gonna gone“. Und genau das hatte er auch vor drei Jahren schon prophezeit.

Andreas Becker