„Es ist zum Heulen“

■ Prominente Berliner Stimmen zum überraschenden Ausgang der DDR-Wahl

Johannes Agnoli, FU-Professor: Es stimmt nicht, daß in der DDR zum erstenmal frei gewählt worden ist. Richtig ist, daß es die erste frei manipulierte Wahl gewesen ist. Früher wurden die Wahlen zwangsmanipuliert, jetzt freiwillig vom Westkapital. Froh bin ich aber, daß die PDS drittstärkste Partei geworden ist. Mich interessiert dabei weder der Stalinismus, noch der Stasinismus, sondern allein, daß mit der PDS eine starke Oppositionspolitik möglich ist. Gysi und Modrow sind sehr integre Leute, ich vertraue ihnen. Es gibt Parallelen zur Französischen Revolution. Auch in der DDR hat die Revolution französisch begonnen, die Bewegung von unten ist zu vergleichen mit den Sanscoulotten. Übersprungen wurde die jakobinische Phase, gewonnen hat aber auch in der DDR der Thermidor, das heißt die Volksbewegung wurde entmachtet durch die Parteien des Kapitals.

Harald Juhnke, Schauspieler: Die Ursache für die Wahlniederlage der SPD ist, daß sie zuviel mit dem Sozialismus gewunken haben. Die Leute haben die Schnauze voll davon. Wichtig und gut ist es jetzt, daß viele Parteien mit sehr unterschiedlichen Meinungen im Parlament vertreten sind. Desto schneller ist der Weg zu einem demokratischen Land möglich.

Anna Elmiger, Vorsitzende der Humanistischen Union: Es ist zum heulen. Einerseits kann ich es mir erklären, weil die Leute einfach keine Geduld mehr haben. Andererseits verstehe ich nicht, daß sie einer ehemaligen Blockpartei wie der CDU glauben. Davon abgesehen, ist die Frauenfrage völlig unter dem Tisch gekehrt. Die Ellenbogenstarken sind gewählt worden. Es war ein unverschämter Wahlkampf seitens der CDU und Kohl trat im Fernsehen eben schon auf wie ein gesamtdeutscher Kanzler. Schon absurd, wie eine deutsche Revolution endet.

Christian Ströbele, Rechtsanwalt und ALer: Der Wahlausgang ist ein ungeheurer Schock. Die haben die sofortige und schnelle D-Mark gewählt, die sie leider nicht so schnell kriegen werden. Im Süden der Republik herrschen jetzt bayerische und preusische Verhältnisse in einem - eine absurde Mischung.

Manfred Foede, Berliner Landesvorsitzender der IG-Metall: Ich bin überzeugt, daß die Bürger, nicht die Parteien und die Ideologien gewählt haben, sondern ausschließlich Wiedervereinigung, Währungsunion und Wirtschaftswachstum. Sie haben dabei aber nicht gemerkt, daß von einer Sozialunion nicht die Rede war.

aku/anb