Aus dem Paradies vertrieben

■ Die streitlustige Autorin Martha Mamozai hat der Opferrolle der Frau den Kampf angesagt. Frauen sind und waren immer auch Täterinnen ist die These, die sie in ihrem neuesten Buch „Komplizinnen“ vorstellt.

Sie zwinkert ironisch und nennt sich eine „Vertriebene aus dem Frauenparadies“. Martha Mamozai meint „die neue deutsche Frauenbewegung“, in der sie jahrelang mitgestritten hat. Jetzt streitet sie sich mit ihr, beziehungsweise mit einigen ihrer Wortführerinnen. Das Zwinkern in den Augen der 45jährigen Autorin weicht einem Wutblitz. Schon bei den Recherchen zu ihrem Buch Frauen im deutschen Kolonialismus Herrenmenschen, habe sie entdeckt, daß Frauen in der Geschichte nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen gewesen sind. Weiße deutsche Frauen, die sich mit den Zielen und Werten ihrer Herren identifizierten und sich aktiv an der Versklavung und Mißhandlung der einheimischen Bevölkerung beteiligten. Doch die Wächterinnen des „Frauenparadieses, die Gralshüterinnen der weiblichen Unschuld“, haben das umfassende Werk der Mamozai - ein inzwischen anerkanntes historisches Standardwerk - vom reinen Tisch der „guten“ Frauen gefegt.

Das Urteil war hart. Ohne weitere Begründung und ohne Diskussionen hieß es, „theoretisch nicht fundiert“. „Diese Theoriegeilheit!“ Dem Blitz folgt ein Gewitter. „Es regt mich richtig auf, wenn Alice Schwarzer und Joey Horsley behaupten, daß Frauen im Patriarchat schlimmstenfalls nur von Männern abhängige Komplizinnen sein können, jedoch niemals gleichberechtigte Täterinnen.“

Diese Opferthese macht sie wütend. „Ich kann mich doch nicht Beobachtungen, historischen Daten, Erkenntnisse verschließen, nur weil andere sie vielleicht mißbrauchen könnten. Wenn ich in der Geschichte Frauen finde, die offensichtlich nicht nur Opfer waren, sondern auch eine Mitschuld tragen, dann heißt das doch nicht, daß ich Frauen verunglimpfe oder dem 'Opfer‘ die Schuld zu schieben will. Ich muß doch Verantwortlichkeiten erkennen und benennen dürfen, um daraus zu lernen. Schuld ist eben bei uns immer noch ein Reizwort. Ich meine aber, daß Schuldfähigkeit zum Menschsein gehört.“ Abhängigkeit ist kein Freibrief

Außerdem erinnere sie diese Art von Argumentation immer an die Haupttäterthese, die Mitläufer damit entschuldigt, daß es doch Haupttäter wie Hitler, Himmler, Heydrich gegeben habe, kritisiert die Soziologin und Volkswirtin. „So stellt man Persilscheine für individuelle Verantwortung aus“, sagt Martha Mamozai, „Abhängigkeit ist doch kein Freibrief, der alles verharmlost, was Frauen zu verantworten haben. Kein Zweifel Frauen waren und sind Opfer von Gewalt und Unterdrückung, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Es hat immer auch Täterinnen, Komplizinnen gegeben.“

Diese hat sie zuhauf in ihrem neuen Buch Komplizinnen aufgespürt. Die Sklavenhändlerinnen, die noch grausamer waren als ihre Ehemänner. Die deutsche Siedlersfrau, die ihren schwarzen Dienstbotinnen die Kleider zerschnitt, damit ihr Mann noch effektiver mit der Peitsche zuschlagen konnte. Die Gafferinnen, die ihre Kinder hochhielten, damit sie bei Massenexekutionen besser zuschauen konnten und die Spitzel, Denunziatinnen und schließlich die Lagerärztinnen und Wärterinnen der faschistischen KZs. Der „Zeitgeist“

kann nur erklären

„Vorsicht“, warnt Martha Mamozai, „auch einige der 'Heldinnen‘, die wir allzu gerne gerade in der Geschichte der Frauenbewegung suchen, die mutigen und Mut machenden Frauen, wie Lida Gustava-Heymann, sind nicht die ungebrochen 'guten‘ Frauen.“ Der Wunsch, sich mit ihnen zu identifizieren verleite dazu, ein Auge zuzudrücken, Ungereimtheiten, Zweifel zu ihren Gunsten zu interpretieren. „Die Heymann hat aktiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet, aber ich darf doch wohl trotzdem ihren idealistisch-biologistischen Glauben an das 'weibliche Wesen‘ kritisieren“, wettert Martha Mamozai. „Oder Maria Kahle: In einem kürzlich erschienen Sammelband Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht singt der linke Hammer Verlag ein Loblied auf diese Frau als 'weiblicher Wallraff der Zwanziger Jahre‘. Sie die Journalistin wurde Akkordarbeiterin, um 'alles mit dem Proletariat zu teilen‘. Es wird verschwiegen, daß Maria Kahle eine glühende Vereherin und Propagandistin der Nazis war. Warum können wir diese Frau nicht so nehmen wie sie war, gebrochen, widersprüchlich, eine Grenzgängerin, ein Kind ihrer Zeit?“

Die streitbare Autorin stellt jede ihrer beispielhaft angeführten Komplizinnen, Mitläuferinnen und Kollaborateurinnen in ihren historischen Zusammenhang. In den Herrenmenschen hat sie noch kräftig mit erhobenem Zeigefinger moralisch drauf los geprügelt - jetzt betont sie immer wieder, daß „nichts schwieriger ist, als in der Zeit, in der man lebt, gewisse Tendenzen zu erkennen.“ Der „Zeitgeist“ aber kann Komplizenschaft bestenfalls erklären helfen, betont sie immer wieder, nicht ent-schuld-igen, von individueller Verantwortung freisprechen.

Frauen sind nicht die besseren Menschen

Auch die feministische Forderung, „laßt Frauen an die Macht“ sei eine bloße Beschwörungsformel. Denn weder HERRscherinnen wie Katharina von Rußland oder Elisabeth die Erste, noch die Machtinhaberinnen der jüngeren Geschichte und der Gegenwart hätten sich als die besseren Menschen erwiesen. Erinnert sei nur an Indira Gandhi, die „selbstherrliche Cäsarin“, Sirimavo Bandaranaike, die schon in den sechziger Jahren alle Hoffnungen auf eine „weibliche“, menschlichere Politik enttäuschte. Oder Corazon Aquino, unter deren Regime wieder verleumdet, verfolgt und immer häufiger auch zum Mittel des politischen Mordes gegriffen werde. „Die Menschenrechtsverletzungen auf den Philippinen sind heuer schlimmer als zu Marcos Zeiten“, behauptet sie.

Als freie Entwicklungshilfegutachterin hat sie die Philippinen und dort die Selbsthilfegruppe AMIHAN kennengelernt. 1987 wurden zwei der aktivsten AMIHAN-Frauen ermordet. Sie hatten unbequeme Forderungen an die Regierung der Frau Aquino gestellt. In vielen Beispielen weist sie nach, daß Frauen nur zu oft Gewalt anwenden, wenn sie an der Macht sind. „Was sind ihre Motive?“ fragt sich Martha Mamozai. Macht korrumpiert

Sie findet keine eindeutige Antwort. Es ist vielmehr ein „Gestrüpp von Vorder- und Hintergründigem, ein Geflecht von individueller und gesellschaftlicher Disposition“, in jedem Einzelfall anders gewichtet und verwoben.

Diese vielschichtigen Motive reichen von der Sicherung materieller Vorteile über den Wunsch nach Selbstverwirklichung, nach Aufwertung der Abhängigkeit bis hin zur Angst vor Bestrafung und Liebesentzug. Es kann, so Mamozai, Ehrgeiz mit im Spiel sein oder aus Verletzungen geborene Rache. Oft spielt Sexualneid eine verhängnisvolle Rolle, wie im Falle vieler weißer Kolonialistinnen, deren Männer die schwarzen Dienstbotinnen begehrten. Sie entwirft in ihrem Buch Komplizinnen kein eindimensionales Theoriekonstrukt, sie liefert keine Beweise dafür, daß Frauen das „bessere Geschlecht“ sind. Die Frauen konnten sich immer für oder gegen die Komplizinnenschaft entscheiden.

Besonders wütend macht sie die Forderung „Frauen an die Macht“. „Beweisen nicht die Komplizinnen, HERRscherinnen, die Teilhaberinnen der Macht, daß auch Frauen zu allem fähig sind, zum Besten und zum Schlimmsten? Daß Macht korrumpiert? Daß diese Forderung nahtlos in die heutige (Männer-)Welt paßt? Daß es sich dabei keineswegs um eine revolutionäre feministische Forderung handelt? Es kann nicht das Ziel sein, die partiarchalen Strukturen zu besetzen und schließlich zu übernehmen. Macht abzulehnen, abzubauen hieße, dem Patriarchat tatsächlich etwas Neues, Besseres entgegenzusetzen, nicht aber der Macht atemlos hinterherzuhechlen.“

Komplizinnen ist ein engagierter, emotionaler Angriff auf die „schützenden Gärten der Unschuld“. Doch Mamozai kämpft nicht mit zerstörerischen Waffen. Sie verweist auf ein Wort von Christina Thürmer-Rohr: „Wenn ich erkenne, daß die Menschen nichts weiter sind als das, was sie sind, wird der Blick auf sie liebevoller statt kahler.“ Auf die Frage, ob sie schon auf Gegenangriffe von den Hüterinnen der Opferrolle warte, antwortet sie, „Ach, das ist mir wurscht!“ Und da ist es wieder, dieses ironische Zwinkern.

Johanna Litzenberger

Martha Mamozai, Herrenmenschen, Rowohlt Frauen aktuell, 1982

Martha Mamozai, Komplizinnen, Rowohlt Frauen aktuell, März 1990