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„Etwas weg vom Schwerpunkt Nicaragua“

Nach der Wahlniederlage der Sandinisten fand am Wochenende in Köln ein erstes Bundestreffen der Solidaritätsgruppen für Mittelamerika statt / Diskussionen über die Perspektiven im weltweiten Entspannungsprozeß / „Sozialdemokratisierung der FSLN“ ist ein neues Reizwort  ■  Aus Köln Bert Hoffmann

Fast dreimal soviele Solidaritätsbewegte wie in früheren Jahren waren am vergangenen Wochenende nach Köln zum „Bundestreffen der Mittelamerika-Gruppen“ gekommen. Drei Wochen nach den Wahlen in Nicaragua ist der Bedarf nach Diskussionen über das „Wie weiter?“ offensichtlich groß. „Dieser schreckliche Schlag für uns war zu perfekt, als daß wir die Ursache allein beim US-Imperialismus suchen können“, analysierte Silvio Brado, der eingeladene Vertreter der FSLN, die Niederlage der Sandinisten. Die FSLN hätte offensichtlich Fehler gemacht und die Stimmung in der Bevölkerung nicht erkannt, hier sei Selbstkritik nötig.

Die „Frente Sandinista“ sieht sich jetzt vor einer Vielzahl drängender Aufgaben, um so viel wie möglich von den Errungenschaften der Revolution unter der gewählten Rechts -Regierung zu garantieren: „Der direkte Kampfplatz zwischen FSLN und UNO ist jetzt der Verhandlungstisch, der die friedliche Regierungsübernahme aushandelt.“

An der Vorstellung, daß sie - so Silvio Brado - „in diesem Kampf mehr denn je gemeinsam mit der FSLN stehen“ müssen, schlucken die versammelten VertreterInnen der Solidaritätsbewegung schwer. Nicaragua Libre, „Hoffnung und Beispiel für eine gerechtere Welt“, verkündet das riesige Transparent hinter dem Podium. Der Schritt zur neuen Rolle - über einen längeren Zeitraum eine starke Oppositionskraft in einem Mehrparteiensystem unterstützen zu müssen - ist kaum bruchlos zu vollziehen.

Spürbar ist, daß sich die Stimmung in der Solidaritätsszene seit dem Wahlschock und den ersten „Jetzt erst recht„ -Reaktionen deutlich verändert hat. Man müsse sich jetzt endlich fragen, welche Spielräume die Sandinisten für den Aufbau eines eigenen revolutionären Modells überhaupt gehabt hätten, meint ein Teilnehmer: „Auch wenn es eine sehr umfassende Aufgabe ist, muß unser Ansatzpunkt eine Änderung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sein.“ Eine Tendenz zur „Rückverlagerung“ der Solidaritätsarbeit ist unverkennbar. „Die Soli-Bewegung muß etwas weg vom 'Schwerpunkt Nicaragua'“, fordert eine Teilnehmerin, „und hin zum Schwerpunkt 'Großmacht Europa‘, zur Auseinandersetzung mit den Machtstrukturen hier.“

„Vergessen“ will Nicaragua natürlich niemand, deshalb soll die Brigaden- und Projekte-Arbeit weitergeführt werden, in Zukunft jedoch an den offiziellen UNO-besetzten Stellen vorbei. Auch bei den Städtepartnerschaften soll nun mehr auf Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik geachtet werden.

Die Bitterkeit angesichts der Wahlniederlage ist unverändert. Gaby Gottwald (Die Grünen) zeichnet ein insgesamt düsteres Bild für die sozialrevolutionären Bewegungen in ganz Zentralamerika. Die Entspannung zwischen den beiden Supermächten habe für die Region negative Konsequenzen, denn dem internationalen Rückzug der Sowjetunion folge beispielsweise kein Rückzug der USA. Und in das von den ehemals realsozialistischen Ländern hinterlassene Vakuum dringe nun mit Macht die internationale Sozialdemokratie vor.

Sozialdemokratisierung ist ein Reizwort. Karl Rössel, Autor eines Buches über die bundesdeutsche Solidaritätsbewegung, forderte eine dringend notwendige Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie. „Denn wenn die FSLN mit der Sozialistischen Internationalen (SI) zusammenarbeitet, dann ist das der Anfang vom Ende der Solidarität mit den Sandinisten, weil das das Ende des sandinistischen Projektes ist“, sagte er unter Beifall. Die SI als neues Feindbild das brächte jedenfalls eine Polarisierung der Diskussion in der Solidaritätsbewegung, die bislang ein Spektrum zwischen fortschrittlichen Sozialdemokraten bis hin zur radikalen Linken in sich vereinte.

Die Interessen der angereisten Sandinisten waren sehr viel konkreter und pragmatischer. Sie stellten die gleich nach der verlorenen Wahl gegründete „Stiftung für kommunale Entwicklung“ (FUNDECOM) vor, die für die Region Managua alle Hilfsprojekte im sozialen und infrastrukturellen Bereich an den Regierungsstellen vorbei organisieren soll. Eine weitere sandinistische „Nicht-Regierungs-Organisation“ ist auch auf nationaler Ebene geplant, die dann weitgehend die Funktion der bisherigen staatlichen Stiftung Augusto Cesar (FACS) übernehmen soll. Auch im politischen Bereich wollten die Nicaraguaner der Soli-Bewegung keine Pause für große Sinnkrisen lassen: Die zentrale Aufgabe der Solidaritätsarbeit müsse jetzt sein, noch vor der Regierungsübernahme am 25.April die tatsächliche Demobilisierung der Contra zu fordern.

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