Befreites Packpapier

■ „Buchobjekte“ von der Bremer Künstlerin Marikke Heinz-Hoek am Sonntagmorgen

Packpapier ist zum Packen da. Kein Ding an sich, sondern für andere, stellt es sich in den Dienst eines wie auch immer gearteten Inhalts. Das auch noch in schäferhundekackebraun. Wer es hat, will es wieder loswerden; ein Schicksalspapier.

Die Bremer Malerin Marikke Heinz-Hoek hat es aus seiner Verwicklung ins Zweckhafte befreit: Für ihre „Buchobjekte“ hat sie verschieden große Packpapierstücke ineinandergeflochten, die auf den ersten Blick wie beliebig aufgehäufelte, herbstlaubartige Blattfetzen aussehen. Seltsam flüchtig und (un)gleichzeitig bodenständig, kostbar verwertbar. Die „Objekte“, teilweise nur drei bis vier „Seiten“ dünn, versuchen, eine Synthese von Sätzen und ihren bildlichen Ausdrucksformen herzustellen. Marikke

Heinz-Hoek hat Zitate von Autorinnen (mit Kultcharakter) ausgewählt, und zur Satzaussage einen ungegenständlichen Satz-Gegenstand herausgebildet, mit Acrylfarbe auf Packpapierfetzen gemalt und diese wieder auf die braunen Packpapierseiten geklebt - eine Collage, die u.a. Sylvia Plath, Gertrude Stein, Ingeborg Bachmann mit ihren Sätzen oder Gedichten - in steilen, zerbrechlichen Tuschbuchstaben

-in ein neues Zwiegespräch verwickeln.

Wo findet man solche Kunst zum Anfassen und Umblättern und am Sonntagmorgen? In einer feinen, aber kleinen Galerie? Mit schicken Mickis? Mit künstlichen Kennern? Falsch, ätsch. In einem weiblichen Versicherungs- und Finanzkontor mit Licht und Luft und Lust am Interdisziplinären.

Bärbel Hartz und Annegret Wulff sind die beiden Bremer Finanzfachfrauen, die diese sonntägliche Matinee veranstaltet haben. Wirklich zwang-los steht ein wirklich interessiertes, freundliches Buntvölkchen zusammen zwischen funktionell ernsthaften Ordnerregalen und tischdeckenverhangenen Schreibtischen mit Getränken und Häppchenplatten und Kind und Hund und die Sonne lacht.

Und während die nahen Gartennachbarn ihren schnöden Sonntagmorgen nachgehen, ergehen wir uns in dem schönen Bewußtsein, schon um 11 Uhr morgens kunstsinnig und relaxed zu sein. Auch die Künstlerin ist anwesend und erzählt von ihren ersten „Buchobjekten“ im Matheunterricht unter der Bank. Ilse Zahn-Wienands, Sopranistin im

fröhlich bunten Overall, singt, passend zu den archaisch -avantgardistischen Ausstellungsstücken, ein atonales Lied, entsprechende Satzfetzen, basierend auf Walter Scotts tragischem „Zuspätkommen“ am Südpol; und ihre schöne, klare, „ei

sige“ Stimme läßt uns für ein paar Momente frösteln zwischen Höhen und Tiefen. Claudia Kohlhas