„Das war die Beerdigung der DDR“

■ Die DDR-Wahl im Fernsehen: Statt Spannung bis zur letzten Minute, Schreck in der ersten Sekunde

Wer am Abend des zweifellos historischen Urnenganges mit einiger Spannung, einem Thriller gar, gerechnet hatte, der wurde bitter enttäuscht. Kein vergessener Wahlbezirk, kein verschobenes Komma, das zur vorgerückter Stunde dem vermeindlichen Verlierer wieder auf die Straße der Hoffnung verholfen hätte. Zwar begann der Fernsehabend nur mit Prognosen, Hochrechnungen waren noch in ferner Sicht, diese jedoch waren ein Paukenschlag. Sie verkündeten den Wahlsieg der konservativen Allianz und die Niederlage der hochgehandelten SPD. Das war es dann aber auch schon. Der Abend war gelaufen, bevor er so recht begonnen hatte, war man desweiteren doch nur noch damit beschäftigt, diese Vorgabe mit entsprechenden Hochrechnungen zu untermauern. Alle Hoffnung auf eine Trendwende, eine Korrektur, sie waren vergebens.

Keine Nacht der langen Messer für die Demoskopie also? Nein, sie hatten ganze Arbeit geleistet, die empirischen Umfrageforscher, und damit der Dramaturgie des Abends einen schlechten Dienst erwiesen.

Was hatte man alles aufgeboten, für diese längste Wahlnacht in der Geschichte der DDR. Direktleitungen in die Provinz, Wahlpartys, bundespolitische Prominenz und und... Hatte man das Ereignis nicht gar mit der Landung der US-Amerikaner auf dem Mond verglichen? Mag auch der Einsatz von Medientechnologie noch so groß gewesen sein, das was da aus der Glotze kam, es war so hausbacken, so bekannt wie eh und je, das Warten auf das Ergebnis halt.

Die Wahl, sie war historisch, und eine Sensation auch das Resultat, die Präsentation des Ergebnisses aber, das heißt die dramaturgische Inszenierung und Darstellung der Zeit, die zwischen Schließung der Wahllokale und der Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses liegt, sie war gefüllt mit denjenigen Ingredienzien, die in so mancher Wahlnacht sich bewährt hat. Aufgeregte Moderatoren mit kleinen Knöpfen im Ohr, nicht minder erregte Interviewer, die ihren Gesprächspartnern, entsprechend ihrer Wichtigkeit mehr oder weniger abrupt das Wort abschneiden, ein eifriges Hin- und Herschalten zu unterschiedlich zusammengesetzten Gesprächsrunden und die Nabelschau der Demoskopen. Harald Juhnke vorm Brandenburger Tor, Herr Gibowski von der Forschungsgruppe Wahlen, diesmal mit getönter Brille, und wie sie alle heißen, die Spitzenreporter, Chefkommentatoren und Korrespondenten vor Ort, die sich bemühten, den Spannungsbogen nicht vollends abflachen zu lassen.

Als in dieser Situation die ARD auch noch mit ihrer Sportberichterstattung begann, Eishockey und Tor des Monats oder so, wurde selbst der hartgesottenste ARD-Fan weich, er schaltete um. Allerdings gab es auch ein Novum zu berichten: Waren an diesem Abend doch teilweise gleich fünf deutschsprachige Anstalten gleichzeitig auf Sendung. Nach der Devise: Konkurrenz belebt das Geschäft, und derjenigen, daß die großen Meinungsmanipulateure nur mit geballter journalistischer Gegenmacht geknackt werden können, kann das durchaus sinnvoll sein. Was aber ist das für ein Gewinn, wenn ich als Zuschauer jetzt Helmut Kohl in ARD, ZDF, DFF und RTL gleichzeitig sehen kann. Das war zwar ganz nett, wenn unsere beiden ansonsten um Exklusivität bedachten Sender in ungewohnter Weise begannen ihre Interviews kollektiv zu führen, spannender wird es dadurch aber nicht. Gab es denn wirklich so wenige interessante Gesprächspartner? Vor allem aber, warum müssen fünf Stunden vergehen, bis Willy Brandt, der in der DDR die größte Popularität besitzt, ins Bild kommt.

Die Erwartung, daß an diesem Abend auch in der Berichterstattung sich etwas zeigt, das über das Gehabte hinausgeht, sie wird enttäuscht. Das Neue, es kommt nur einmal kurz ins Bild, als im Anschluß an die Berliner Runde, das Gespräch ist gerade zu Ende gegangen, Pfarrer Eppelmann und Ibrahim Böhme die beiden Kontrahenten aufeinander zugehen und sich umarmen. Das war es, was ich zu sehen erhoffte. Diese Szene, sie war nur versehentlich eingefangen worden, weil das DDR-Fernsehen nicht schnell genug umgeschaltet hatte. Am Ende des Abends läuft der total überdrehte Wolf Biermann bei einem Interview mit dem DDR -Fernsehen zur Höchstform auf. Er gibt das Stichwort für eine fiktive Abmoderation: Das war, live aus dem Palast der Republik, die Beerdigung der DDR, wir schalten zurück ins Funkhaus.

Karl-Heinz Stamm