Die Diktatur des Rechtecks

■ „Art Frankfurt“, zum zweiten Mal Markt der Moderne am Main

Gegen die Behauptung, daß Kunst etwas mit Kaufen zu tun habe, sind wir geimpft, ebenso wie gegen die Vorstellung, Wahres und Bares seien durch innige Beziehung miteinander verwandt. Die Reinheit des Geistes verschlungen mit der schnöden Fuchserei des Materiellen - da sträuben sich dem Schönen und Guten alle Nackenhaare. Die astronomischen Dollar-Summen für van Goghs oder Picassos, die Millionen, die zeitgenössische Maler-Stars für ihre Werke einheimsen, sowie die Meldungen, daß moderne Kunst von allen Geldanlagen in den 80er Jahren die größte Wertsteigerung erfuhr, all dies läßt das Unbehagen am Kommerz in der Kultur nur zu berechtigt erscheinen. Daß just die Bankenmetropole Frankfurt im letzten Jahr eine neben Basel und Köln eigentlich überflüssige Messe moderner Kunst etablierte, paßt da ins Bild: das große Geld versteckt sich in Mainhattan nicht, und zu diesem Selbstbewußtsein gehört der offene Handel mit Geist, neben dem des Buchs jetzt eben auch mit dem der Kunst.

200 Galerien, die Hälfte davon aus der Bundesrepublik und eine aus der DDR (mehr hatten sich nicht beworben) stellen auf zwei großen Etagen ihr Angebot moderner Kunst aus - der Verpflichtung, die ausgestellten Bilder und Objekte mit Preisschildern zu versehen, kommen dabei kaum die Hälfte aller Aussteller nach. Obwohl sich doch die „Art Frankfurt“ von ihren Konkurrenten dadurch unterscheiden will, daß hier junge Galerien mit unbekannten Künstlerinnen und Künstlern ihre Chance bekommen und auch dem finanziellen Mittelstand ein „Schnäppchen“ möglich gemacht werden soll. Tatsächlich gibt es in Frankfurt Acryl-Schinken beträchtlichen Ausmaßes schon unter 2.000Mark zu kaufen, wenn aus den unbekannten Meistern einmal Max Ernsts oder Rauschenbergs werden, eine todsichere Investition.

Allein, die dargebotenen Werke auf dieser Messe bestechen durch einen Grad an Gestrigkeit und Phantasiearmut, der jede Talentsuche zur Tortur geraten lassen muß. Während sich die Gesellschaften bewegen und vom Zwang der Bürokratie befreien, hat sich die Kunst, so zeigt ein Gang durch diese Messe auf jedem Schritt, in eine neue alte Diktatur geflüchtet: die Diktatur des Rechtecks. Kaum ein Ausstellungsstand, an der man ihr nicht begegnet: Quadrate, Balken, Linien, Blöcke, monochrome Einfarbpinsel in allen Formaten. Von „Neo-Geo“, wie dieser Trend zur geometrischen Form und Fläche seit einigen Jahren firmiert, kann dabei eigentlich keine Rede sein - der Hang zum rechten Winkel spiegelt kein Bewußtsein des Neuen, er ist eher eine Hommage an die Antike. Und auch der Sinn der Monochrom-Gemälde geht, wenn überhaupt, ganz weit zurück: in die dumpfen Zeiten, als eine einzige Farbe reichte, bienenartige Kommunikation in Gang zu setzen.

Läßt die zufällige Auswahl von 200 Galerien überhaupt auf Tendenzen der Kunst schließen? Wahrscheinlich gibt es keinen besseren Ort, um einen Überblick zu gewinnen, als eine Kunstmesse. Bazon Brock meint sogar, daß die Verkaufsmesse heute schlichtweg die zeitgemäße Ausstellungsform darstellt: „Weil sie über den Zustand des Kunstlebens, über Positionen und Einstellungen von Künstlern, Galeristen, Kritikern mehr aussagen als jahrelang geplante Galaexpositionen. Auf Kunstmärkten sind die Künstler ehrlicher, weil sie auf dem Kunstmarkt niemand zum intellektuellen Stottern zwingt; die Galeristen verantwortlicher, weil jede Fehlentscheidung persönlich ausgebadet werden muß; das Publikum aufmerksamer, weil es ein Schnäppchen machen will.“

Wie auf der „documenta“ bietet der Kunstprofessor auf der „Art Frankfurt“ Besucherschulen an, bei denen das Publikum die Wahrnehmung des Mediums Kunstmesse trainieren soll. Dabei gelte es, sich vor allem über zwei Vorurteile hinwegzusetzen. Über das Kommerz-Vorurteil, das vorhanden sei, seit es Kunst gäbe, und über das Vorurteil, die wegen der dargebotenen Mengen zwangsläufige Oberflächlichkeit der Wahrnehmung sei unwürdig. Wie wenig zeitgemäß diese museale Auffassung von der hehren Kommunikationsform „Kunst“ ist, macht Bazon Brock anhand eines Würstchenstands in der Ecke der Messehalle klar: die Gastronomen, die Anfang der sechziger Jahre unter Protest der wahren Kunstliebhaber in die Museen Einzug hielten, hätten den neuen Rezeptionstrend zuerst entdeckt. Heute fände die Auseinandersetzung mit Kunst in eben jener informellen Beiläufigkeit statt, mit der wir auch im Cafe kommunizieren: „Das Entscheidende läßt sich nur beiläufig sagen, Beiläufigkeit ist die professionellste Form der Kommunikation.“ Um im Sog der Bildermassen nicht unterzugehen, bedarf es einer Portion Egoismus und der Fähigkeit, beiläufig das Interessante zu erkennen und sich zu konzentrieren. Worum es dabei geht, macht der Titel der „rhetorischen Oper“ klar, die Brock im Rahmen der „Art Frankfurt“ aufführte: Selbsterregung.

Tatsächlich ist zum Genuß der im besten Fall dekorativen Rechtecke und Karos auf der „Art Frankfurt“ ein schon unanständiges Maß an Selbsterregung nötig, gegen die brutale Einfalt der Mono- und Duo-Chromen wirkt jeder Mondrian wie pures action painting.

Eine Ausnahme in der meistenteils glatten und kühlen Atmosphäre der Messestände macht der einzige Aussteller der DDR, die Leipziger Galerie „Eigen+Art“. Sie ist mit dem „Frankfurter Altar“ von Rainer Görß und Peter Dittmar angerückt, einer großen, häßlichen Installation aus ekligem Altmaterial, akustischem Chaos und Electronics, eine Art Neo -Beuys. Der Mann mit dem Hut, von dem einige Multiples (von 2.000 Mark an steil aufwärts) verkauft werden, ist in Form von Hasen, Filz- und Fett-Zitaten allgegenwärtig, aber nirgends so deutlich wie in diesem Altar, der in der schicken Messearchitketur wie ein Affront wirkt.

Die „Wilden“ der 80er Jahre sind zwar vertreten, aber nicht mit typisch heftigen Werken, sondern kleineren Sachen zu höheren Preisen; „Neue Medien“, Video- und Computerkunst, hingegen kommen auf dieser Messe nur am Rande vor. Das überrascht nicht, Computer bedeutet Kopierbarkeit, der Kunstmarkt aber lebt von knappen, am besten einmaligen Gütern, den Originalen. In der Fotografie hat man mit streng limitierten Editionen einen Weg zur Vermarktung gefunden Mapplethorpe-Abzüge etwa werden für 40.000 Mark verkauft, die Negative zur Beuys-Aktion Zeige Deine Wunde kosten 95.000 Mark.

Die Messe ist noch bis zum 21.März geöffnet, am heutigen Dienstag werden um 20 Uhr unter dem Hammer des Sotheby -Auktionators Graf Douglas 64 Bilder versteigert, die der Leiter der nächsten „documenta“, Jan Hoet, aus dem Angebot der „Art Frankfurt“ ausgesucht hat. Die 150.000 DM für den Ankauf sind durch Sponsoren aufgebracht worden, das erwartete Vielfache des Verkaufs wird der Deutschen Aids -Stiftung zugute kommen.

Mathias Bröckers