Kuba bekommt die Perestroika zu spüren

■ Fidel Castro fühlt sich und seine Revolution von Ländern des Warschauer Pakts verraten / Rezept des Lider Maximo: „Keinen Schritt zurück - nicht einmal, um Anlauf zu nehmen.“ / Auch in Zukunft wird die schwierige Wirtschaftslage der Tropeninsel äußerst prekär bleiben

Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Noch vor wenigen Wochen klang es gelassen, wenn Kubas Staatschef Fidel Castro den Zerfall des Ostblocks konstatierte und gleich hinterschickte: „Unser Warschauer Pakt, der uns verteidigt, ist unsere Einheit.“ In jüngster Zeit ist der Tonfall des Lider Maximo schärfer geworden. Er fühlt sich und seine Revolution in die Ecke gedrängt, geht zum Gegenangriff über. Und nicht nur gegen den gewohnten Gegner in Washington, der nach der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua Blut geleckt hat und jetzt endlich „eines der letzten Bollwerke des Kommunismus“ (UNO-Botschafter Morris Abram) beseitigen will. Zielscheibe des Fidelschen Zorns wurden in der vergangenen Woche erstmals vier Länder des formell noch existierenden Warschauer Paktes.

Ausgerechnet Polen und die Tschechoslowakei als Beobachter in der UNO-Menschenrechtskommission hatten gemeinsam mit den USA eine Resolution vorgelegt, in der Kuba Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden. Bulgarien und Ungarn stimmten als Vollmitglieder für die Verurteilung Kubas und sicherten den USA die Mehrheit. Castro fand das „widerlich“ und nannte die vier Ex-Verbündeten „Verräter“. Ihr Verhalten zeige, daß „der sozialistische Block tatsächlich verschwunden ist“.

Der symbolische Dolchstoß durch diese vier Staaten, mit denen Kuba immer noch durch die Wirtschaftsgemeinschaft RGW verbunden ist, ist nur der jüngste in einer Serie von Rückschlägen, die die Insel in den vergangenen Monaten trafen. Es begann im Juni mit der sogenannten Ochoa-Affäre. Arnaldo Ochoa, einer der höchstdekorierten Helden des kubanischen Internationalismus, ehemaliger Chef der kubanischen Streitkräfte in Äthiopien und später in Angola, wurde wegen Drogenschmuggel vor Gericht gestellt und, zusammen mit drei anderen hohen Offizieren, hingerichtet. Innenminister Abrantes, der die Schmuggelgeschäfte seiner Geheimabteilung „MC“ gedeckt hatte, wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, und ganz Kuba fragte sich: Wie soll es möglich sein, daß Raul Castro, Fidels Bruder, Ochoas enger Freund und als Verteidigungsminister auch dessen Vorgesetzter, von alledem nichts gewußt hat? Von Fidel selbst will niemand Schlechtes denken, andererseits: Beruht nicht das Funktionieren des kubanischen Sozialismus auf dem Glauben an einen Fidel, der alles weiß, alles erfährt und alles richtet? Der Zweifel war gesät.

Die nächsten Schläge kamen von jenseits des Atlantik. Wie Dominosteine fielen die sozialistischen Verbündeten um. Mit Ungarn, das alle Einzelteile der in Kuba zusammengebauten „Akarus„-Busse liefert, hatte es schon länger Probleme gegeben: Marktwirtschaft, das heißt für die Magyaren mittlerweile Weltmarktpreise auch im RGW-Verbund, und so präsentierten sie den Kubanern eine deftige Preiserhöhung von 20 Prozent.

Kubas Handel hängt zu 84 Prozent am RGW, der den drei Entwicklungsländern unter seinen Mitgliedern - neben Kuba noch Vietnam und die Mongolei - Vorzugsbedingungen gewährt. Daß Ungarn und Polen aus dieser Art von Dritte- Welt -Solidarität bald ausscheren würden, damit hatten die Kubaner schon gerechnet. Was sie härter traf, war das schnelle Ende des Sozialismus in der DDR. Noch am 7.0ktober hatte die Parteizeitung Granma ihre Leser wissen lassen, der Massenexodus aus der DDR sei nur Folge der Destabilisierungskampagne gegen ein Land, in dem der Sozialismus seine Vorteile ständig unter Beweis gestellt habe. Und im selben Monat noch hatte man sich mit SED -Wirtschaftschef Günter Mittag, der zu Besuch in Havanna weilte, der gegenseitigen Wertschätzung und Solidarität versichert. Entsprechend groß war der Schock, als selbiger plötzlich auf der Anklagebank saß.

Es folgten der Umbruch in der Tschechoslowakei, Schiwkoffs Sturz in Bulgarien - und das Ende Ceaucescus. Havanna Bukarest - Peking, das war bis zu diesem Zeitpunkt die Achse der härtesten Perestroika-Gegner gewesen, gemeinsam hatten sich diese drei Staaten mit ihrer Rechtfertigung des Massakers auf dem Tiananmen-Platz isoliert. Gewiß, Fidel Castro ist als Vater der Revolution weiterhin hochbeliebt, mit dem verhaßten Ceaucescu nicht zu vergleichen. Fehler und Probleme werden auf Kuba allen anderen, nur nicht ihm zugeschoben. Gerade deshalb gibt die Empfindlichkeit zu denken, mit der der 62jährige Staatschef reagierte, als der Korrespondent von Radio Prag darüber spekulierte, ob Fidel mit seinem Anti-Perestroikakurs nicht irgendwann ähnliches passieren könnte wie dem rumänischen „Conducator“: Der Journalist wurde ausgewiesen.

In der kubanischen Presse wurde das blutige Ende des Ceaucescu-Regimes von der gleichzeitigen Invasion der USA in Panama in den Hintergrund gedrängt. Manuel Noriega war zwar kein sozialistischer, aber dennoch ein kaum zu ersetzender Verbündeter. Und das weniger wegen seiner antiimperialistischen Rhetorik als vielmehr, weil er den Kubanern ermöglichte, preisgünstig US-amerikanische Ersatzteile und andere Waren einzukaufen und so Washingtons Wirtschaftsblockade zu durchbrechen.

Nicht zuletzt zeigte der völkerrechtswidrige, unerklärte Krieg, daß die USA bei einem derartigen Überfall, wie ihn viele US-Amerikaner sich auch auf Kuba wünschen, nur mit lauen Protesten anderer Staaten zu rechnen haben. Im Notfall können wir nur auf unsere eigene militärische Stärke zählen

-das ist für die Kubaner das Fazit aus der Panama -Invasion.

Das I-Tüpfelchen auf die immer stärkere Isolierung Kubas setzte dann die Wahlniederlage der verbündeten Sandinisten in Nicaragua. Den Zusammenschluß ihrer seit 1975 verfeindeten Fraktionen hatte Castro persönlich im März 1979 zustandegebracht, sie waren seine Schützlinge, die er mit großzügiger materieller Solidarität bedachte, auch dann noch geblieben, als sie in den letzten Jahren einen anderen Weg gingen als er: als sie die Perestroka lobten, ein parlamentarisches System nach westlichem Vorbild schufen und sich den Zwängen der Weltwirtschaft beugten.

De facto war das Politikkalkül der Sandinisten längst sozialdemokratisch, auch wenn ihre internen Strukturen noch nach dem „demokratischen Zentralismus“ funktionierten. Dennoch hütete sich Castro, sie zu kritisieren. Auch jetzt, nach ihrer Wahlniederlage, spricht er nur von „subjektiven Fehlern“, die die Sandinisten selber analysieren müßten. Doch in hohen kubanischen Parteikreisen wird die „große historische Lektion“ (Castro) sehr genau interpretiert und als Bestätigung der bisherigen kubanischen Linie gewertet, daß Konzessionen an die Vereinigten Staaten nur schaden.

„Keinen Schritt zurück - nicht einmal, um Anlauf zu nehmen“, forderte Fidel sein Volk in einer Rede auf, die kurz nach der Niederlage der Sandinisten veröffentlicht wurde. Keinen Schritt zurück, das heißt: keinerlei Privatisierung und keine Schritte auf ein Mehrparteiensystem hin.

Die Frage ist, wie lange diese Linie wirtschaftlich durchzuhalten ist. Schon heute sind die Versorungsmängel eklatant, wenn Weizenlieferungen aus der Sowjetunion sich verzögern oder Ersatzteile für Maschinen nur gegen kaum noch vorhandene Dollars zu erhalten sind. Spätestens, wenn der Fünf-Jahres-Vertrag mit der Sowjetunion 1991 durch einen neuen ersetzt werden muß, der mit Sicherheit die jährlich 4 -5 Mrd. Dollar Subventionen abbaut, wird Kuba auf eigenen Füßen stehen müssen. Die Wirtschaftspolitik geht in Richtung Autarkie. Doch bislang gibt es wenig Anzeichen, daß das Unternehmen gelingen könnte. Und daß die Bevölkerung dafür den Gürtel noch einmal enger zu schnallen bereit ist.

Michael Rediske